„Eine gewisse Beliebigkeit gewinnt an Bedeutung“

Alle Parteien haben es schwer, ihre Wähler zu mobilisieren, weil sie für die kaum unterscheidbar sind, meint Matthias Jung von der Mannheimer „Forschungsgruppe Wahlen“

taz: Welche Bedeutung hat eine Kommunalwahl tatsächlich für den Bundestrend?

Matthias Jung: Der Ausgang einer Kommunalwahl hängt natürlich immer auch von regionalen Besonderheiten ab, aber dennoch ist für die meisten Wähler die Trennung zwischen den verschiedenen politischen Ebenen nicht so wichtig. Man muss sich immer vor Augen halten, dass sich die Mehrheit der Wähler nicht für Politik interessiert. Die bundespolitische Wirkung eines Wahlausgangs resultiert allerdings vor allem daraus, dass solche Ergebnisse veröffentlicht werden. Die Stimmung für oder gegen eine Partei wird damit festgeschrieben, und das beeinflusst wiederum die Stimmungslage für die nächste Wahl, jedenfalls wenn sie unmittelbar folgt.

Kann man davon ausgehen, dass die Partei, die gewonnen hat, dabei vom günstigen Meinungsklima profitiert, oder führt es im Gegenteil eher zur Mobilisierung der Verlierer?

Es gibt verschiedene Effekte, die sich zum Teil gegenseitig aufheben. Grundsätzlich bekommt ein Gewinner einen Bonus. Im vorliegenden Fall, wo ja auch die Wahlbeteiligung sehr niedrig war, kann es aber bei der nächsten Gelegenheit auch zu einer Gegenmobilisierung der anderen Seite führen.

Woran lag es denn, dass die CDU ihre Anhänger besser mobilisiert hat?

Die Bredouille, in der sich die CDU in Hessen und im Bund befindet, hat offenbar zu einer gewissen Trotzreaktion ihrer Anhänger geführt. Die Anhänger der SPD haben es hingegen angesichts des für die Bundesregierung günstigen Meinungsklimas offenbar für nicht so wichtig gehalten, zur Wahl zu gehen.

Wird sich dieser Trend bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fortsetzen?

Die Gefahr einer unzureichenden Mobilisierung der eigenen Wählerschaft besteht in allen Parteien, und das führt zu einer gewissen Unkalkulierbarkeit des Wahlausgangs. Die Parteien haben einen eher flauen Wahlkampf geführt, der wenig polarisiert. Damit werden sie für den Wähler – vor allem für den unpolitischen Wähler – immer schwerer unterscheidbar. Das kann zu einer gewissen Demobilisierung führen.

Gewinnt also das Zufallsprinzip an Bedeutung?

Jedenfalls eine gewisse Beliebigkeit.

Auffallend in Hessen sind die Verluste der „Republikaner“.

Die sind nicht weiter erstaunlich. Rechtsradikale Parteien haben derzeit nicht gerade Hochkonjunktur, weil es keine weit verbreitete Protesthaltung gegenüber der Bundesregierung gibt.

Lässt sich daraus eine Prognose für Baden-Württemberg ableiten?

Mit Prognosen sind wir sehr zurückhaltend. Die „Republikaner“ werden mit Sicherheit in Baden-Württemberg Federn lassen müssen, aber in Anbetracht ihrer hohen Ausgangsposition mit etwas über neun Prozent beim letzten Mal ist damit nicht zwingend gesagt, dass sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Verloren haben auch die Grünen. Kann das mit dem Streit über die Äußerungen von Umweltminister Jürgen Trittin zusammenhängen?

Ein solcher Streit wird die Anhänger der Grünen kaum veranlassen, nicht mehr grün zu wählen. Aber er kann eben die CDU-Anhänger mobilisieren und den Grünen so indirekt schaden, nämlich prozentual. Außerdem haben es die Grünen infolge ihrer Beteiligung an der Bundesregierung und den damit verbundenen Kompromissen ohnehin schwer, ihre eingefleischten Anhänger zu mobilisieren, weil mit der Teilhabe an der Macht eine zwangsläufige Verwässerung ihrer Positionen einhergeht.

Union und FDP versuchen ja derzeit, mit einer Debatte über Nationalstolz auf Stimmenfang zu gehen. Ist das eine aussichtsreiche Strategie?

Auch da stellt sich die Frage: Wer wird damit mobilisiert? In jedem Fall trägt das zu einer gewissen Polarisierung bei, an der es bisher eher gemangelt hat. Das wird der CDU mit Sicherheit nicht schaden. INTERVIEW: BETTINA GAUS