„Bremer Firmen sind zu geizig!“

■ SchülerInnen am Schulzentrum Alwin-Lonke-Straße sammeln für ehemalige Zwangsarbeiter

Während die deutsche Wirtschaft sich noch ziert, den Entschädigungsfonds auf die vereinbarten zehn Milliarden Mark aufzufüllen, haben Schüler von zwei Bremer Fachoberschulklassen einen eigenen Weg gefunden, ihre Solidarität auszudrücken: Sie sammeln einfach selbst! Seit Wochen fordern sie ihre Mitschüler und Lehrer am Schulzentrum Alwin-Lonke-Straße auf, für Bremer Zwangsarbeiter zu spenden. Zusammengekommen sind 803,50 Mark, die gestern dem „Verein Walerjan Wróbel“ übergeben wurden.

Nachdem sich die beiden zwölften Klassen im Politik-Unterricht mit dem dunklen Kapitel der Bremer Geschichte auseinander gesetzt hatten, lief das Projekt „Bunker“ ein Jahr weiter – auch außerhalb der Schulzeit. Die Jugendlichen besichtigten den benachbarten Valentin-Bunker und sahen sich Filme über die NS-Zeit an. Ein Vortrag des Vereinsvorsitzenden Hartmut Müller brachte sie sie auf die Idee, selbst aktiv zu werden. Enttäuscht über das Unvermögen der Wirtschaft, sich ihrer historischen Verantwortung zu stellen, „wollen wir zeigen, dass wir nicht dahinter stehen, dass nicht gezahlt wird“, erklärt die 20-jährige Leila. „Wir haben das Geld, und wir wissen, wie die Zwangsarbeiter gelebt haben – das hat uns sehr betroffen gemacht.“ Viele der engagierten Schüler sind Ausländer, die nicht das „deutsche Problem“ im Vordergrund sehen, sondern das persönliche Schicksal. Auch Matthias (21) ist empört über die Bremer Firmen: „Die müssen mit dem Geld rüberkommen, die haben mehr als wir!“

Rita de Vos, die betreuende Lehrerin, ist stolz darauf, dass die Schüler kurz vor der Abschlussprüfung noch ihre Pausen und Freizeit opfern, um anderen Menschen zu helfen und dadurch „ein Zeichen für Menschenwürde zu setzen“. Ähnlich sieht es Hartmut Müller. Für ihn ist die Auseinandersetzung mit Zwangsarbeit eine „gesellschaftliche Gesamtverpflichtung“. Das Abwälzen auf die Wirtschaft sei zu einfach, da alle Deutschen von Zwangsarbeitern profitiert hätten. Deshalb freut sich der ehemalige Leiter des Staatsarchivs besonders, „dass sich junge Leute auf den Weg machen“. Wichtiger als Geld sei, den Betroffenen ein neues „Deutschland-Bild“ zu zeigen, eine „heranwachsende Generation, die anders ist als die, die sie kennen gelernt haben“. Durch persönliche Kontakte weiß er, dass die Zwangsarbeiter unter dem Verlust ihrer Menschenwürde weit mehr gelitten haben als unter den wirtschaftlichen Bedingungen. „Diese Aktion gibt ihnen ihre Würde zurück.“

Im Sommer fahren Paul und David auf eigene Kosten nach Polen, um drei bedürftigen Familien, die der „Verein Walerjan Wróbel“ noch aussucht, das gesammelte Taschengeld zu überreichen. Berührungsängste haben die beiden 19-jährigen Deutsch-Polen nicht: „Wir sprechen ja die Sprache!“ Die Chance der Jugendlichen besteht für Müller darin, dass sie frei von persönlicher Schuld diskutieren und nicht verdrängen. Nur indem junge Menschen auf beiden Seiten lernen, Verantwortung zu übernehmen, sei eine gemeinsame Zukunft möglich. db