Qualmige Butterhüte

Wahre Lokale (63): „Auerbachs Keller“ und andere Stätten der Verköstigung in Leipzig

Der einzige Gastrotempel mit integraler Hofbräuhausfunktion, den Westdeutsche kennen

Die Messestädter sind ja bekannt für ihren sprichwörtlichen Humor. So halten sie sich pro Einwohner mindestens ein kritisches, ein Helden- und ein Mundartkabarett. Eine lustige „Lachmesse“ und eine coole Karikaturenbiennale ergänzen dieses erfreuliche Psychogramm sowie ein durchfallerprobtes Bierimitat reinsten Wassers obendrein: die Gose. Als wäre das nicht schon komisch genug, gönnen sie sich sogar ein monatliches Satiremagazin mit dem schönen Titel Kreuzer, das in vielen Belangen bereits meilenweit noch klüger als die Musikpostille Spex operiert und sein hauptsächliches Verbreitungsgebiet mit dem hübschen Kosenamen „L. E.“ adelt. Was die Abkürzung für Leipzig und eine hochwitzige Anspielung auf „L. A.“ sein soll.

Einmal im Jahr ist Buchmesse dort in Leipzig. Das ist auch ein riesengroßer Spaß. Weil um diese Zeit im Frühjahr jede Menge fünftklassiges und unnützes Verlagspersonal und abgerissene Vertreter aus aller Herren Bundesländer ihre Strafstunden in den Messenhallen nachsitzen. Wo sie nicht zuhören und ihnen keiner zuhört, weil jeder schon der Stunde entgegenschmachtet, wenn endlich am Abend in „Auerbachs Keller“ geschlemmert werden kann. Der einzige Gastrotempel mit integraler Hofbräuhausfunktion, den Westdeutsche in Leipzig kennen. Dort, so schmunzeln Brancheninsider, hätten die Kellnerinnen wundrosige Wangen und richtige Echthaarfrisuren. Da haben sie aber die Rechnung ohne die anderen Wirte gemacht, denn tausendfach stellen sich den Standdienstleistenden Konkurrenzlokale in den Weg, die sich manchmal nur mit lieblos gemalten Schildern (Kuli auf Bockwurstpappe) ebenso als „Auerbachs Keller“ ausgeben.

Wer also wenig Lust auf Piffpaff und Tatütata im „Szenebezirk“ Connewitz verspürt oder was man dort so für „Kult“ (Szeneheldenkabarett) hält, muss einige gastronomische und, sicher, auch kulinarische Hürden nehmen, bevor er seinen Abend verdientermaßen in den weltbekannten Gewölben von „Auerbachs Keller“ beschließen darf.

Wenn Sie als Ortsunkundiger mit total angeschärften Burschenschaftlern Schnittwunden austauschen müssen, dann ist das der „Paulaner“. Wenn Ihrer das definitive Leipziger Einerlei harrt – ein rätselhafter Gemüsebrei mit Flusskrebs und Spitzmorchel unter qualmigem Butterhut –, dann sind Sie in „Zill’s Tunnel“ gelandet. In „Auerbachs Keller“ wäre so was genauso wie die „Paulaner“-Scheitelbuben völlig undenkbar. Wird auf einmal der ideale Ort „erlebbare Realität“ (Dr. Inselkammer, Tucher-Bräu), an dem Sie sich von wirklich sehr, sehr guten Freunden wirklich sehr, sehr schlechte Gary-Moore-CDs schenken lassen können, dann war das im schräg gegenüber aufgebauten „Varadero“. Das geht wirklich nur dort, denn im sachsenweit renommierten „Auerbachs Keller“ werden einem natürlich diese CDs von den Zuchtmeistern der Kellnerinnen erbarmungslos abgenommen und in eigens aufgerichteten Gary-Moore-CD-Recyclingkörben weggekarrt. Tonnenweise manchmal.

Wenn Wolfgang Thierse zum Tischgebet lädt, ist das zwar ein Geheimtipp, aber auch nur der „Ratskeller“ im Neuen Rathaus. Denn in „Auerbachs Keller“ herrscht striktes Betverbot, wie erzählt wird. Werden Sie unversehens vom Personal mit Käschern gekidnappt, mit Lassos an die Sitze gebunden und müssen Essigbier hinabschlucken, wird es sich einwandfrei um die „Brauerei an der Thomaskirche“ handeln. Obwohl wir schon mehrfach braupolizeilich die Schließung verfügt haben, rappelt sich diese Bande immer wieder auf. Jedes Mal noch einen Tick frecher. So was würde in „Auerbachs Keller“ nie passieren. Werden Sie mit Orangenschalen beschnipst, fürchten wir Sie in den Klauen des „Thüringer Hofes“ verloren oder bei Bruder Fellatio in der Bahnhofsmission. Werden Sie hingegen überraschend zum Auftritt auf die Bühne gebeten, am besten samstags in der Früh um sechs Uhr und ohne Publikum, dürfte es höchstens die studentisch verschlagene „Moritzbastei“ sein.

Wer als Messegast nach derlei Prüfungen und typisch sächsischen Täuschungsmanövern noch genügend Geld und Humor hat, darf jetzt ungehindert den einzigen und wahren „Auerbachs Keller“ und seine blumenkohlbrüstigen Kellnerinnen anpeilen. Aber um diese Zeit hat die stadtbekannte Rentnerabwurfstelle längst geschlossen.

LISSY SCHMIDT