Widerstand? Der lebt. Auch gegen Rot-Grün

Das Wendland lehnt den Atomkonsens ab. Nicht nur wegen der Castor-Transporte. Das Wendland fürchtet ein Atommüll-Endlager

HANNOVER taz ■ Ganze acht Castor-Behälter verlieren sich derzeit auf den 420 Stellplätzen in der Zwischenlagerhalle für hochradioaktiven Müll in Gorleben. Das will die rot-grüne Bundesregierung ändern. Jährlich zwei Transporte von jeweils sechs Behältern mit Abfällen aus der Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente in Frankreich möchte sie in den nächsten zehn Jahren ins Wendland schaffen.

Ausgerechnet Rot-Grün will damit ein seit 25 Jahren heftig umkämpftes Atomprojekt endgültig in Betrieb nehmen. Die Atomkraftgegner aus dem Wendland, zu denen der Landrat genauso gehört wie die BI-Vorsitzende, befürchten, dass ihr Landkreis Lüchow-Dannenberg am Ende doch noch das Atomklo der Bundesrepublik wird, zu dem er vor beinahe einem Vierteljahrhundert auserkoren wurde.

Im Jahr 1977 wurde Gorleben als Standort eines Nuklearen Entsorgungzentrums ausgewählt. Dort sollte neben einem Endlager und einer Wiederaufarbeitungsanlage auch ein großes Eingangslager für abgebrannte Brennelemente entstehen. Von der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage blieb allerdings zunächst nur das Zwischenlager übrig, das 1983 fertiggestellt wurde. Es dauerte weitere zwölf Jahre, bis die Polizei im April 1995 tatsächlich den ersten Castor-Behälter mit abgebrannten Brennelementen durch eine Menge von rund 5.000 Demonstranten brachte. Ein Behälter mit WAA-Müll im Jahr 1996 und sechs Castoren im März 1997 folgten. Damals versammelten sich fast zehntausend Blockierer vor der Castor-Umladestation in Dannenberg, dem neuralgischen Punkt der Atommüllroute.

Dass der Atomkonsens das widerständige Wendland jetzt befrieden könnte, glaubt nicht einmal die Polizei. „Es regt die Wendländer nur noch mehr auf, dass ihre ehemaligen Bundesgenossen sie im Stich gelassen haben“, sagt Polizeidirektor Hans Reime, der die 15.000 Polizisten und Grenzschützer befehligen wird, die allein in Niedersachsen den Transport absichern werden. Der Leiter des Castor-Einsatzes kann sogar „den Unmut dieser Menschen darüber verstehen, dass der Atommüll aus der ganzen Republik in ihre Heimat gebracht wird“.

Ähnlich sieht das Landrat Christian Zühlke (SPD). Er verweist darauf, dass es in Gorleben inzwischen schon vier verschiedene Atomanlagen gibt. Neben dem Castor-Lager liegt das so genannte Fasslager für schwach Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle. Die dahinter liegende „Pilotkonditionierungsanlage“, eine Anlage zur Erprobung des endlagergerechten Verpackens von Atommüll, hat gerade die Betriebsgenehmigung erhalten. Nicht zuletzt existiert nur wenige hundert Meter vom Zwischenlagergelände entfernt noch das Gorlebener Endlager.

Im Gorlebener Salzstock ruhen derzeit zwar die so genannten Erkundungsarbeiten, die in Wahrheit immer Bauarbeiten an den Endschächten und -stollen waren. Aber nichts hat die wendländischen AKW-Gegner in den letzten Jahren so verbittert wie die Begründung, mit der Bundesregierung und AKW-Betreiber sich in einem Anhang zur Konsensvereinbarung auf die Unterbrechung des Endlagerbaus verständigten. Grüne wie SPD hatten bis dahin in Parteitagsbeschlüssen betont, dass der Gorlebener Salzstock aus geologischen Gründen für ein Endlager nicht geeignet sei. In der Konsensvereinbarung erklärte die Bundesregierung dann aber, dass „die bisher gewonnenen geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben nicht entgegen“ stünden. Das Moratorium bedeute „keine Aufgabe von Gorleben als Standort“, sondern diene der Klärung offener Fragen. Ohne die Proteste der Castor-Gegner gibt es wenig Chancen, dass neben Gorleben in Deutschland noch einmal ein anderer Standort für Endlager für hochradioaktiven Müll untersucht wird. JÜRGEN VOGES