Vadim und die Nachtgestalten

Jürgen Roths Recherche über einen ukrainischen Geschäftsmann und das postsowjetische Wirtschaften

Jürgen Roth ist ein unbestechlicher Journalist. 600.000 Mark hat ihm jemand angeboten, wenn er sein neuestes Buch nicht veröffentlicht. Jetzt ist „Der Oligarch“ erschienen. Vadim Rabinovich, der ukrainische „businessman“, hat dem engagierten Journalisten seine Erlebnisse erzählt, herausgekommen ist eine Lebensgeschichte, die man glauben kann oder nicht. Wer sich auf sie einlässt, darf eine spannende Geschichte lesen, kritische Distanz jedoch schadet nicht.

Nein, er erwarte nicht, dass jeder im Raum ihm seine Geschichte abnehme, sagte Rabinovich bei der Buchvorstellung in Berlin. Aber unvoreingenommenes Zuhören, darauf dürfe er doch hoffen? Darf er, aber wie glaubwürdig kann ein Mann schon sein, der mit der ganzen postsowjetische Mafia kungelte, seinen Reichtum mit der Leichenfledderei der Sowjetunion erwarb und bis heute in undurchsichtige Geschäfte verwickelt ist. Glaubwürdig dagegen ist ohne Zweifel Jürgen Roth, den seine jahrelangen Recherchen im roten Sumpf beinahe seine materielle Existenz gekostet hätten.

Nein, gefährlich sei es nicht, im Netzwerk von Diplomaten, Agenten und Politikern, „businessmen“ und Nachtgestalten zu schnüffeln, beruhigt er. „Die roten Bosse“ seien berechenbar. Dennoch musste er immer wieder juristische Auseinandersetzungen mit der „Russen-Mafia“ (alle Zitate sind Roth-Titel) ausfechten, und nicht immer siegte Roth. Auf bewundernswerte Weise setzte sich der Frankfurter trotz zahlreicher Tiefschläge immer wieder der organisierten Kriminalität kritischer auseinander. Was sollte er auch machen mit seinen vielen Ordnern, Büchern und Aufzeichnungen über das Thema?

Warum aber brach Rabinovich sein Schweigen? Warum ausgerechnet gegenüber Roth, der einen gewissen Vadim R., ukrainischer Millionär, in einem früheren Buch wegen seiner Machenschaften angegriffen und dessen Versuche, sich vom „Imperium“ zu distanzieren, als „Täuschungsmanöver“ abgetan hatte?

Ausgerechnet im Genfer Hotel Beau Rivage traf er sich zum ersten Mal mit Roth, in jenem Haus, in dem angeblich gern Agenten und Geschäftsleute verabreden. Dort erklärte Rabinovich, warum er auspacken wolle: Er habe vor vier Jahren den damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, getroffen. „Vadim“, soll der ihm ins Gewissen geredet haben, „wenn du deinen Namen nicht reinigst, bist du nicht würdig, den Vorsitz der Vereinigten Jüdischen Gemeinden der Ukraine auszuüben, und musst abtreten, weil du unserer Sache schadest.“ Wahr oder unwahr? Wer weiß. Roths Protokoll jedenfalls schildert die Lebensgeschichte eines kleinen Schiebers, der Chef eines Milliardenkonzerns aus Versicherungsgesellschaften, Zeitungen, Fernsehstation und Modefirmen geworden ist, der R. C. Group mit Sitz in Genf. Davor lagen Jahre in russischen Arbeitslager und Psychiatrie, dann die Mitarbeit beim KGB. Ein freier Mann wurde Rabinovich erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Oder? „In Deutschland muss, wer ein Geschäft eröffnen will, Geld haben“, erläutert Rabinovich, „bei uns genügt das nicht.“ In der Post-Sowjetunion trage man auf der einen Schulter die Politiker, auf der anderen die Mafia. Mit allen müsse man gut auskommen.

Das scheint Rabinovich gut gelungen zu sein. Seine Meisterprüfung bestand er als Vizepräsident des größten russischen Handelskonzerns, der Nordex, in der westliche Geheimdienste auch die Geldwaschanlage der KPdSU zu erkennen glaubten. Die Firma des Grigori Loutchansky mit Sitz in Wien handelt mit allem, was die Nachfolgestaaten der untergegangenen Sowjetunion zu bieten hatten: Metall, Energie, Rohstoffe, auch von Drogen und Waffen wurde geraunt. Als Moskau 1993 kein Erdöl mehr in die Ukraine lieferte, kaufte die Nordex für das bedrängte Land ein und die Ware mit sattem Gewinn weiter. 1996 gründete Rabinovich sein eigenes erfolgreiches Imperium – in der Ukraine.

Inzwischen ist Rabinovich dort in Ungnade gefallen, und es ist möglich, dass er Roth und den Europa Verlag für eigene Interessen nutzt. Öffentlichkeit, glaubt Rabinovich, biete ihm auch Sicherheit. Auskünfte über Mafiastrukturen in Berlin lehnte er ab, er wolle noch eine ganze Weile leben. Medienwirksam verwies er auf seine gute Gesundheit, wenn er in nächster Zeit wegen einer Erkrankung an Herz oder Lunge sterbe, dürfe, ja solle man sich ruhig Gedanken machen. Man kann die Geschichte mit zweierlei Brillen lesen. Wer oberflächlich liest, unterstellt: Alles Mafia! Auch in der Ukraine gilt Rabinovich als korrumpierender Ausbeuter des Landes. Wer differenzierter liest, bekommt einen Eindruck von einer anderen Welt, der Welt, die Westeuropa zu vergessen scheint und die sich deshalb wieder Russland zuneigt. Wer aber hinter jedem osteuropäischen Unternehmer einen Mafioso vermute, so Rabinovich, richte eine neue Mauer auf. Gleichwohl existiert es, das weit gespannte Netz aus Politik, Geschäftswelt und kriminellem Milieu in der postsowjetischen Gesellschaft. Es reicht bis weit über die osteuropäischen Grenzen.

Roth wurde vorgeworfen, die kritische Distanz gegenüber seinem Gesprächspartner vermissen zu lassen. Das ist ein Irrtum. Schon der Titel ist Kritik. Einen Oligarchen liebt man nicht. Das Buch deshalb zu ignorieren wäre ein Fehler. Denn Roths um eigene Recherchen erweitertes Protokoll ermöglicht einen aufschlussreichen Blick in eine sonst verschlossene Welt. Das ist mehr, als die meisten Bücher über diese Region derzeit leisten.

PETER KÖPF

Jürgen Roth: „Der Oligarch. Vadim Rabinovich bricht das Schweigen“. 300 Seiten, Europa Verlag, München 2001, 38,50 DM