Fellow Traveller

He Steppkes: Robert Gernhardt war in der Hauptstadt. Dabei verfasste er zehn Gedichte – „Berliner Zehner“

Früher hat Robert Gernhardt gern auch mal mit der Quantität kokettiert und auf die Dicke seiner Gedichtbände hingewiesen, wohl auch um zu demonstrieren, dass sich geschäftige Produktivität und Poesie nicht unbedingt ausschließen. Nun, entweder scheint er sich dahingehend nichts mehr beweisen zu müssen, oder aber sein Verlag hat ihm dieses Büchlein aus dem Kreuz geleiert, um mit den erwartbaren Gewinnen – Gernhardt scheint der einzige Lyriker zu sein, von dem sich das sagen lässt – ein paar Rechnungen zu bezahlen. Nicht mehr als zehn, erklärtermaßen, Kasualpoesien versammelt dieses Bändchen, Gedichte, die „so ortsgebunden wie möglich und so zeitgebunden wie nötig“ sein wollen und die den künstlerischen Ertrag eines zehnmonatigen Berlin-Aufenthalts als Fellow des dortigen Wissenschaftskollegs darstellen.

Wie immer erweist er sich hier als abwechslungsreicher, ebenso formbewusster wie -sicherer Stimmenimitator, der so unterschiedliche lyrische Gattungen wie Couplet, Volkslied, Sonett und sogar die hehre Ode mit zumeist komischem Gehalt zu füllen weiß. Etwa wenn er gewitzt das antikisierende Pathos der Ode benutzt, um das Haackesche Bundestagskunstwerk als einen überwunden geglaubter Blubo-Ideologie verpflichteten Kokolores zu entlarven.

Am besten freilich ist er immer noch beim Reim. Wie er das ewige Psalmodieren der Literaturkritik über das Fehlen eines veritablen Hauptstadtromans mit einer längeren lyrischen Gebetsmühle verarscht, das hat echte Größe: „Am Alex die Gören. Zwei kurz, einer lang. / Die Blicke so wund und die Schnuten so bang. / ,He Steppkes, was hat man euch angetan?‘ / ,Mensch, keener schreibt uns den Hauptstadtroman!‘“ Und weiter: „Am Grunewaldsee. Eine Frau und ein Hund. / Ich lobe das Tier. Wie schmerzlich ihr Mund: / ,Meine Jule schlägt an bei Ente und Schwan – / was sie niemals verbellt, ist ein Hauptstadtroman.‘ // ’s ist 9. November. ‘s ist zehn Jahre her, / daß die Mauer fiel. Doch die Herzen sind leer: / ,Wat hat sich denn hier in zehn Jahrn jroß jetan – / ick meine in Sachen Hauptstadtroman?!‘ “ Viele Lyriker fallen einem ja nicht ein, die so etwas können. FRANK SCHÄFER

Robert Gernhardt: „Berliner Zehner“. Haffmans Verlag, Zürich 2001, 63 Seiten, 28 DM