„Man muss das Deutsche stark machen“

Spannungsschreibertum, Endzeitstimmung und Zeitgenossenschaft: „Barbar Rosa“, Georg Kleins neuer Roman, ist eine abgründige Detektivgeschichte.Der Schriftsteller über das Schicksal der Geschlechtlichkeit und seine Hoffnung, dass seine Texte zu groß sind, um in klein karierte Schubladen zu passen

Interview ULRICH NOLLER

taz: Sie leben in Leer, Ostfriesland. Ziemlich abgelegene Wohngegend, zumal für einen, der den Ruf hat, ein Chronist der Berliner Republik zu sein.Georg Klein: Es ist für mich überhaupt kein Problem, hier, mit Blick auf den Deich, von und aus Berlin zu berichten. Berlin habe ich, was leibliche Erfahrung angeht, wirklich dicke gehabt. Ich habe sogar den Eindruck, dass Berlin sich mir als Fantasieraum noch besser erschließt, wenn ich regelmäßig Abstand von der Gegenwart der vielen Millionen Ziegelsteine bekomme.

Die Metropole dient Ihnen als Projektionsfläche?

Berlin ist für mich in erster Linie ein Fantasieraum. Ein Raum, der nicht von der Realität der unmittelbaren Erfahrung losgelöst ist, der aber Freiheit lässt, und in den Wunschfantasien, aber auch Angstfantasien einströmen können. Das ist schon mehr als eine Projektionsfläche. Im Ideal funktioniert dieses fantastische Berlin wie ein Fesselballon: Gut gefüllt steigt es am höchsten.

Ihr neuer Roman „Barbar Rosa“ wird jetzt schon, am Tag seines Erscheinens, viel diskutiert. Dabei ist die Zeit noch gar nicht lang her, in der Sie nur drei oder vier Leser hatten.

Die interessanten, aber auch schwierigen Jahre waren die, als ich bereits ein guter Autor war, aber trotzdem keinen Verlag hatte. Wenn ich dem Urteil meiner Frau trauen darf, und ich weiß, ich kann dem trauen, dann habe ich ungefähr seit 1986 Texte auf dem Niveau geschrieben, auf dem ich heute schreibe. Auch in meiner eigenen Wertschätzung war ich ein guter Autor, fand aber keinen Verlag. Das war die Zeit, die es zu überbrücken galt.

Wie erklären Sie sich, dass es so lange dauerte, bis Sie sich durchsetzen konnten?

Es gab in der Verlagslandschaft relativ klare Vorstellungen, was deutsche Literatur sein darf und was nicht. Eine ganz typische Reaktion: „Sie können ja wunderbar schreiben, Sie haben einen tollen Stil. Nur: Warum denken Sie sich denn so verrückte Geschichten aus? Schreiben Sie doch mal einen kleinen Band über Ihre Beziehung zu Ihrem Vater oder über Ihre Jugend, mehr so was Autobiografisches, damit könnten wir etwas anfangen.“ Das war die Position von Leuten, die genau zu wissen meinten, was die Leser von einem deutschen Autor erwarten. Andere sagten: „Also, Sie haben tolle Ideen und tolle Geschichten, das hatte ich ja zuletzt bei dem und dem Amerikaner gelesen, solche Einfälle. Nur: Dieser literarische Stil, jeder Satz muss bei Ihnen was bedeuten. Machen Sie das doch ein bisschen amerikanischer, so kurze Sätze und ein bisschen lakonischer. Dann können Sie der erste deutsche Amerikaner werden.“

War das kein verlockendes Angebot?

Mir war damit nicht geholfen, denn ich wollte gute Einfälle und Spannung mit einem starken Personalstil verbinden. Beides hatte ich mir längst erschrieben. Warum sollte ich das über Bord werfen, um à la Peter Härtling oder Raymond Carver zu schreiben? Und so saß ich zwischen den Stühlen.

Von der Kritik werden Sie mit sehr unterschiedlichen Autoren verglichen: Kafka, Pynchon, Ambler und Grisham sind Namen, die öfter gefallen sind.

Der Name Pynchon ehrt mich natürlich und der Name Kafka noch mehr; andere lassen mich eher schmunzeln. Grob kann man die Genannten in zwei Gruppen einteilen: Entweder es sind Autoren der Trivialliteratur, der Spannungsliteratur; oder es sind Autoren des literarischen Geheimnisses. Beides ist mir eigentlich auch ganz recht. Was ich an den Trivialautoren schätze und wofür ich mich jederzeit auch auf ein schlechtes Buch einlasse, ist, dass die Trivialliteratur um den Leser wirbt. Leider kann man das von der so genannten gehobenen Literatur nicht immer sagen. Ich bin Spannungsleser; ich liebe Autoren, die eine fruchtbare Vorstellung vom Geheimnis haben. Kafka ist spannend.

Kafka ist als Bezug zu Ihrer Prosa auch sehr nahe liegend. Skeptiker nennen Sie gar seinen Epigonen.

Wer das allen Ernstes schreibt, der kennt weder Kafka noch mich. Dass die Verbindung geknüpft wird, empfinde ich allerdings durchaus als schmeichelhaft. Ähnlich wie die Vermutung, ich sei ein Romantiker, drückt sie aber, glaube ich, letzten Endes mehr die Hilflosigkeit vor meiner Zeitgenossenschaft aus, als dass sie etwas erhellt.

„Barbar Rosa“ zeigt, wie schon Ihre anderen Veröffentlichungen, radikal männliche Erzählperspektiven. Warum ist die Geschlechtlichkeit ein so zentraler Bestandteil Ihres Schreibens?

Geschlecht ist Schicksal. Für mich war es in meiner Erfahrung als Schreibender ein ganz wichtiger Punkt, begriffen zu haben, dass meine Männlichkeit in jedem Text eine maßgebliche Rolle spielt. Es beginnt bei der Feinstruktur des Erzählens; bei den Perspektiven, die man wählt; bei den emotionalen Tönen, die man anschlägt. Und wenn man einmal begriffen hat, dass auch die einfachste Beschreibung eine geschlechtliche Dimension hat, dass diese Dimension an alles andere rührt, dann fängt man an, das auszuleuchten. Gerade bei „Barbar Rosa“ habe ich versucht, dies bis in den letzten Winkel zu treiben. Deswegen kann der Roman, vermute ich, seine Leserinnen und Leser erschrecken. Weil das Geschlecht auch hässliche und abgründige Seiten hat. Aber ich finde, wer sich für das geschlechtliche Reich seiner Existenz interessiert, sollte auch dessen Dämonen und Gnome kennen.

Wieder arbeiten Sie mit Genremustern. Warum?

Das Genre ist ein hervorragender Widerstand. Das Genre hat Erwartungen, es hat Formen, es hat Verbote. Und in einem Genre zu beginnen, heißt, man kann letztendlich wie beim Squash den Ball mit großer Energie an die Wand schlagen und schauen, was dann passiert. Insofern interessieren mich Genres aller Art sehr. Bei der Detektivgeschichte gibt es zum Beispiel diese wunderbare Ausgangskonstellation: Da ist ein Einzelner, der loszieht, um etwas herauszubekommen, und die Lesenden gehen mit. Sie gehen praktisch den Weg der Aufklärung, und das innerhalb weniger Tage. Dieses Genreangebot hat mich sehr gereizt, ich wollte sehen, was ich mit meinen Möglichkeiten daraus machen kann. So ist die Detektivgeschichte „Barbar Rosa“ entstanden.

Dekonstruieren Sie das Genre? Oder dient es Ihnen lediglich als Hilfsmittel?

Ich finde, es macht keinen Sinn, etwas zu Schrott zu klopfen. Ein Genre ad absurdum zu führen, wäre mir zu billig. Das interessiert auch niemanden. Aber natürlich muss man Stuck und Verputz abschlagen, um zum Wesentlichen zu kommen. Zum Beispiel zur Frage: Was bedeutet uns heute Aufklärung? Welches Heil oder welches Unheil ist damit verbunden, Bescheid zu wissen?

Fast noch wichtiger als inhaltliche Aspekte scheint Ihnen die Sprache zu sein.

Für mich als deutschen Schriftsteller ist die deutsche Sprache der mediale Körper meiner Literatur. Das ist eine Banalität, die man eigentlich nicht erwähnen müssen sollte. Leider hat ein Teil der Schriftsteller und Kritiker vergessen, dass es ohne Sprachanstrengung keine Literatur gibt. Wenn ich einen Text schreibe, in dem alles so ist wie auf der Tonspur eines amerikanischen Filmes, dann hat die Literatur kapituliert. Wer soll das lesen? Dann gehe ich doch lieber gleich ins Kino. Da bekomme ich zu den toughen Dialogen auch noch tolle Bilder und klasse Schauspieler. Die Literatur muss auf ihrem Gebiet stark sein. Erst wenn die Literatur sprachlich potent ist, kann sie die anderen Medien kritisch spiegeln.

Der Dichter als Sprachschützer?

Die Tradition der Sprachschützerei im Deutschen hat etwas Albernes und Größenwahnsinniges. Ich würde mir diesen Schuh nie anziehen. Das Problem stellt sich auch nicht so, dass man ein Schild vor irgendetwas stellen muss. Die Frage ist einfach: Ist der Organismus hinter dem Schild stark genug? Und dazu will ich beitragen. Wenn das Deutsche stark ist, dann kann es auch die Poren aufmachen. Die Poren zu verschließen gegen das Englische ist schlichtweg unmöglich. Es wäre eine Art von naivem Größenwahnsinn zu glauben, man könnte das Deutsche gegen die Weltsprache des Englischen dadurch verteidigen, dass man irgendwas dicht macht. Man muss nicht dicht machen. Man muss stark machen.

Was sind denn Ihrer Ansicht nach die spezifischen Stärken des Deutschen?

Die Stärke einer Sprache ist der simple Tatbestand, dass sie alles, was menschliches Leben ausmacht, ausdrücken kann. Sobald eine Sprache ganze Bereiche abgibt an andere Sprachen, ist sie keine Sprache mehr in dem Sinne. Noch haben wir eine deutsche Literatur. Im Rahmen dieser Literatur amerikanischen Sound, amerikanische Lakonie auf eine selbstvergessene Art nachzuäffen, ist einfach töricht. Wenn das auf Dauer mit der deutschen Literatur passiert, dann ist es mit ihr vorbei.

Sie greifen auf strikt männliche Sichtweisen zurück. Sie beziehen in Ihrer Prosa immer wieder kulturkritische Positionen, etwa in Bezug auf die multikulturelle Gesellschaft. Und Sie arbeiten an einer Art Revitalisierung des Deutschen. Man könnte bilanzieren, Ihre Prosa habe ein regressives Moment.

Für mich ist die deutsche Sprache so groß, dass sie meine ganze Welt ausdrücken kann. Ich bin nicht bereit, die deutsche Sprache zu etwas Provinziellem zu machen. Ich will ein Deutsch sprechen, das meine ganze Wahrnehmungs- und Erfahrungswelt umfasst. Das ist mein Ehrgeiz. Und damit schwimme ich zurzeit gegen den Strom. Aber die Franzosen, die verstehen das.

Sehen Sie angesichts dessen nicht die Gefahr, in die falsche Schublade gesteckt zu werden?

Ich hoffe, dass meine Texte, wenn sie gelingen, so sperrig sind, dass sie in gewisse klein karierte Schubladen nicht reinpassen. Es hat keinen Sinn, sich von Dummheit und Chauvinismus zu distanzieren. Mein Material muss per se auf den ersten Blick anders sein.

Viele Rezensenten mutmaßen, Sie hätten Schubladen voller unveröffentlichter Werke. Stimmt das?

Es gibt schon noch das eine oder andere, vor allem Erzählungen. Mir fällt aber auch noch jede Menge ein. Im Laufe dieses Jahres möchte ich gerne einen etwas längeren Roman, eine Art Horrorroman, abschließen.