Juntamorde vor deutscher Justiz

Fast genau 25 Jahre nach dem Militärputsch in Argentinien reichen Angehörige der Opfer in Berlin Strafanzeige wegen Völkermordes ein. Beschuldigt werden 20 Militärs der Diktatur, darunter die früheren Junta-Generäle Videla und Massera

von BERND PICKERT

Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hat gestern persönlich die Strafanzeigen wegen Völkermordes, Mordes, Totschlags, Geiselnahme und gefährlicher Körperverletzung gegen 20 argentinische Militärs entgegengenommen, die zwei Berliner Anwälte im Namen der Angehörigen von Verschwundenen formuliert haben. Es ist der bislang umfassendste Versuch, die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur bei den deutschen Strafverfolgungsbehörden anhängig zu machen. Unter den Beschuldigten sind auch die Junta-Generäle Jorge Videla und Emilio Massera.

Rund 100 Deutsche und Deutschstämmige waren der Diktatur in den Jahren 1976 bis 1983 zum Opfer gefallen – insgesamt sind die Militärs verantwortlich für rund 30.000 Ermordete und „Verschwundene“. Bislang hatte die „Koalition gegen Straflosigkeit“, ein Zusammenschluss von Angehörigen, Anwälten, Initiativen und Menschenrechtsorganisationen, zwölf Einzelfälle deutscher oder deutschstämmiger Diktaturopfer vor die deutschen Ermittlungsbehörden gebracht, allesamt bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg anhängig.

Die neue Strafanzeige geht darüber hinaus und versucht, sich den Umstand zunutze zu machen, dass Völkermord ein international zu ahndendes Verbrechen ist, das, ungeachtet der Nationalität der Beteiligten, auch nach dem deutschen Strafrecht zu verfolgen ist.

Damit wäre es denkbar, in Deutschland internationale Haftbefehle gegen die Beschuldigten zu erwirken, die eine sofortige Verhaftung der betreffenden bedeuten könnte, sollten diese – wie Chiles Exdiktator Pinochet 1998 – das Land verlassen, in dem sie durch Amnestiegesetze geschützt sind.

Dabei ist die juristische Argumentation, die Verbrechen der Diktatur als „Völkermord“ anzuklagen, nicht ganz einfach. Die Militärs, so die Argumentation der Anwälte, handelten gegen eine bestimmte, von ihnen selbst als „subversiv“ definierte Personengruppe. Da auch Personen zu Opfern wurden, die sich selbst gar nicht in Opposition gesehen haben, „muss es darauf ankommen, wie die Militärs die zu verfolgende Gruppe definiert haben“, heißt es in der Begründung der Anzeige des Anwaltes Wolfgang Kaleck.

Als Unterstützung für diese Argumentation führt Kaleck sowohl Urteile der UN-Tribunale in Sachen Ruanda und Exjugoslawien an als auch das Urteil der spanischen „Audiencia Nacional“ vom 5. November 1998 im Fall Pinochet, das sich ebenfalls mit dem Tatbestand des Völkermordes auseinandersetzte. Das Gericht ging für Chile davon aus, „dass der Begriff der ‚nationalen Gruppe‘ nicht als ‚eine Gruppe, bestehend aus ein und derselben Nation zugehörigen Personen‘ verstanden wird, sondern schlichtweg als nationale, menschliche Gruppe, durch irgendetwas charakterisiert, Teil einer größeren Gemeinschaft“, so Kai Ambos vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht.

„Wir sind nicht schuld, dass die Argumentation so schwierig ist“, sagte Kaleck gestern bei einer Pressekonferenz im Berliner Reichstag, „uns wäre auch lieber, wenn der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie er im Statut von Rom zur Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes definiert ist, schon im deutschen Strafrecht verankert wäre.“ So weit ist das deutsche Strafrecht jedoch noch nicht. Erst im Sommer, so hatte es Justizministerin Däubler-Gmelin vor kurzem angekündigt, werde ein Referentenentwurf für ein „Völkerstrafgesetzbuch“ vorliegen, das diese internationalen Standards ins deutsche Recht überträgt.