ÜBER DIE FORTSCHRITTLICHKEIT
: Die drei großen Lügen der Cebit
Computer werden immer besser

BERLIN taz ■ Schneller, einfacher, produktiver. Mit diesen Versprechen locken Hard- und Softwarehersteller auch in diesem Jahr wieder zur Cebit. Auf den ersten Blick scheint die Computermesse in Hannover sie auch zu halten: Intel führt eine neue Prozessorgeneration – Pentium 4 – vor, mit der PC-Nutzer Multimedia-Anwendungen beschleunigen können. Und am Microsoft-Stand ist eine neue Version der Software Office zu bestaunen, die mit einer ganzen Armada neuer Funktionen aufwartet.

Doch beschleuingen diese neuen Technologien auch wirklich die tägliche Arbeit mit dem Computer? Zweifel sind angebracht: „Computer werden noch immer am Menschen vorbeientwickelt“, meint etwa William Buxton, Chefwissenschaftler von Alias Wavefront und Professor an der Universität von Toronto. Zwar seien die Computer von heute voll gepackt mit technisch interessanten Funktionen, doch werde viel zu wenig an ihrer Usability – zu deutsch Benutzerfreundlichkeit – gefeilt. „Die meisten Geräte sind weniger fortschrittlich als eine automatische Flughafentoilette, die die Spülung betätigt, wenn der Benutzer aufsteht“, so Buxton. Ein Blick auf das Design heutiger Computer verdeutliche das: Es unterscheide sich kaum vom ersten Computer mit grafischer Oberfläche, dem Xerox Star 8010 von 1982: Bildschirmfenster, Symbole, Menüs, Mauspfeil – all das habe sich seitdem kaum verändert. „Haben wir in der Zwischenzeit denn nicht gelernt, was wir besser machen können?“

Diese Frage stellt sich auch Michael Dertouzos, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er fordert schleunigst den Wandel zum „human centric computing“. Die Computerindustrie sollte künftig die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine in den Mittelpunkt ihrer Entwicklung stellen, nicht die technische Leistungsfähigkeit. „Bislang müssen sich die Nutzer an die Computer gewöhnen“, so Dertouzos. „Doch erst wenn Computer unsichtbar werden und still und leise unsere Bedürfnisse erfüllen, ohne dass wir uns darum kümmern müssen, hat die Informationsrevolution stattgefunden.“

Ein anderes Problem ist die zunehmenden Komplexität von Computern und Software. Die hochgelobte Konvergenz in der Informationstechnologie – der Trend, möglichst viele Funktionen in einem Gerät zu vereinigen – trägt daran die Hauptschuld. William Buxton wünscht sich dagegen mehr Divergenz. Es sollten verschiedene Geräte für verschiedene Bedüfnisse entwickelt werden, anstatt mit einem Gerät alle Probleme zu lösen. Ein Beispiel: Internet-Fernsehen etwa wird sich erst dann durchsetzen, wenn es ein einfach zu bedienendes Gerät dafür gibt. Erstens will niemand minutenlang darauf warten müssen, dass sein Fernseher hochfährt. Zweitens wollen die meisten im Wohnzimmer fernsehen, nicht im Arbeitszimmer.

ÜBER DAS HANDY-SHOPPING
M-Commerce ist groß im Kommen

BERLIN taz ■ Jetzt beginnt das Mobile Commerce Zeitalter, jubiliert die versammelte Telekommunikationsbranche auf der Cebit. Jenes Zeitalter, in dem man sein Handy zückt, um mit wenigen Klicks Lebensmittel einzukaufen, das Ticket fürs Fußballspiel zu reservieren oder bei seiner Bank eine Überweisung zu tätigen.

Dass M-Commerce kommt, ist unumstritten. Doch ob der mobile Handel schon bald zum Massengeschäft wird, ist fraglich. Noch gibt es zu viele Hindernisse: Das Hauptproblem liegt darin, dass Internet-Surfen mit dem WAP-Handy noch ziemlich unkomfortabel und langsam ist. Auf einem Miniaturdisplay müssen sich mobile Datenreisende minutenlang durch winzige Menüs fingern, um einzelne Seiten zu finden. Auch die neuen, schnelleren Übertragungsstandards HSCSD und GPRS, die auf den Ständen der Mobilfunk-Netzbetreiber zu sehen sind, ändern diese Situation nicht merklich. Kaum einer ist deshalb bereit, zum Handy zu greifen, wenn er genauso gut am Telefon oder am komfortableren Internet-PC auf dem heimischen Schreibtisch bestellen kann. Die hohen Kosten schließlich – zwischen 10 und 50 Pfennig kostet das mobile Internet-Surfen pro Minute – verderben auch den letzten Technik-freaks die Lust aufs Handy-Shopping. Wer gibt auch schon freiwillig bis zu zwei Mark an Verbindungsgebühren aus, um von unterwegs ein Taschenbuch zu bestellen?

Kein Wunder also, dass in einer Studie der Unternehmensberatung Accenture nur 15 Prozent der Besitzer von WAP-Handys in Deutschland, Großbritannien, Finnland, Japan und den USA angaben, sich von unterwegs aus ins Internet einzuloggen. Nicht einmal ein Prozent der Befragten kauft mobil ein. Das Institut für Markt- und Meinungsforschung Emnid hat sogar herausgefunden, dass jeder dritte Deutsche das Einkaufen via Handy schlicht für „überflüssige Spielerei“ hält. Und auch die Banken, denen eine Schlüsselstellung beim M-Commerce zugeschrieben wird, zeigen sich noch wenig euphorisch. Nach einer Untersuchung der Consulting-Firma Mummert + Partner sind 72 Prozent der Geldhäuser nur zu „relativ geringen“ Investionen bereit. Knapp 20 Prozent stufen ihre Investitionsbereitschaft als „sehr gering“ ein.

Dass trotzdem Euphorie in puncto M-Commerce auf der Cebit verbreitet wird, ist auf die Mobilnetzbetreiber zurückzuführen. Diese stehen unter enormem Erfolgsdruck. Denn nur wenn es ihnen schon bald gelingt, die Kunden an mobile Internet-Anwendungen zu gewöhnen, werden diese in zwei bis drei Jahren bereit sein, auf Geld für einen Umstieg auf die neue UMTS-Technik zu bezahlen. Das aber ist für die Mobilfunkfirmen zur Überlebensfrage geworden. Schließlich haben sie im vergangenen Jahr im Glauben an den schnellen Markterfolg hohe Milliardenbeträge für die UMTS-Lizenzen hingeblättert.

ÜBER DAS NETZ FÜR ALLE
Am Internet kommt keiner vorbei

BERLIN taz ■ Internet, Internet, Internet – wohin man auf der Cebit schaut, alles dreht sich um das Netz der Netze. Die weitverbreitete Behauptung: Das Internet sei ein Massenmedium, an dem niemand mehr vorbeikommt. Einige Optimisten frohlocken sogar, dass die klassischen Medien – Fernsehen, Radio und Zeitung - schon bald darin aufgehen könnten.

Aktuelle Studien sind da weniger euphorisch: Das Zukunftsinstitut im hessischen Kelkheim etwa sagt dem Internet eine handfeste Krise voraus. Die Nutzerzahlen würden schon bald stagnieren, weil das World Wide Web viel zu kompliziert und zu langsam sei. Viele Menschen seien schlicht überfordert von der zunehmenden Technik- und Informationsvielfalt. „Außerdem sind die Prognosen, wie viele Computer in den Haushalten stehen, nicht erfüllt worden“, sagt Roman Retzbach, Trendforscher am Zukunftsinstitut. Nicht einmal die Hälfte aller Deutschen habe heute die Möglichkeit, einen Computer zu benutzen. „Deswegen haben auch weniger Menschen Zugang zum Internet als erwartet.“ Darüber hinaus sei das Gros der Online-Zugänge immer noch viel zu langsam für anspruchsvolle Anwendungen, weil die meisten Surfer nur über langsame Modems verfügten.

Wirklich profitieren könnte von der Datenautobahn in ihrer heutigen Form daher nur eine kleine Info-Elite – Akademiker, Selbstständige und Besserverdienende. Als Folge dieser Situation prognostiziert der Zukunftsforscher eine dauerhafte „digitale Spaltung“ der Gesellschaft. „Diese kann nur durch eine höhere Bildung der Menschen in Bezug auf Informationstechnik gemildert werden.“

Auch die Ergebnisse einer Untersuchung der Mediagruppe Digital lassen eine solche Zweiteilung der Gesellschaft befürchten. Die Marktforscher fanden heraus, dass 28 Millionen Menschen in Deutschland das Internet auf keinen Fall nutzen wollten – das entspricht immerhin einem Drittel der Bevölkerung. Rund die Hälfte dieser Totalverweigerer sind über 50 Jahre alt, fast zwei Drittel sind weiblich. Außerdem verdienen die Internet-Muffel weitaus weniger als Web-Surfer: Jeder zweite von ihnen hat für seinen Haushalt laut Umfrage weniger als 3.500 Mark netto zur Verfügung.

Die Motive für die Ablehnung sprechen eine deutliche Sprache: 26 Prozent der Befragten gaben an, das Medium interessiere sie nicht, 22 Prozent hielten sich für zu alt und für 14 Prozent bietet das Internet „einfach nichts, was sie brauchen“.

Den Ausweg aus der Internet-Klassengesellschaft sehen die Verfasser der Studie in einfacheren Geräten. Erst wenn der Weg ins Internet nicht mehr an Computerkenntnisse gekoppelt sei und man zum Beispiel mit jedem durchschnittlichen Fernseher surfen könnte, würden wohl einige der heutigen Internet-Muffel ihre Scheu vor der neuen Technik ablegen.