piwik no script img

Zurück zum Handwerk

Das „Experimentum mundi“ und andere Versuchsanordnungen: Eine Oper und zwei Ausstellungen erzählen von dem unaufhaltsamen Verschwinden der Arbeit und ihrer Wiedergeburt in der Kunst

von KATRIN BETTINA MÜLLER

So könnte es gewesen sein. Eines Morgens schlug der Künstler die Augen auf und seufzte: „Schluss mit der Einsamkeit im Atelier“. Sehnsucht nach der Gemeinschaft der Werktätigen und dem Sinn praktischer Arbeit überkam ihn. Giorgio Battistelli, Sohn eines Bauunternehmers und junger Komponist aus Rom, machte sich schon 1980 auf, den Handwerkern seines Heimatdorfes den wahren Rhythmus der Arbeit abzulauschen. Am Ende seiner Oper „Experimentum mundi“, die er mit den Handwerkern und inzwischen auch mit ihren Söhnen aufführt, sind ein Fass und eine Mauer gebaut, Schuhe repariert und eine Pasta fertig.

Das Konzept hat seitdem wenig von seiner Attraktivität eingebüßt. Wie ein Kind, das Arbeit spielt, zog Thorsten Streichardt, Steinmetz und Bildhauer, zwei Monate lang jeden Tag von 9 bis 17 Uhr ins Geschäft, um ausgediente Büromöbel zu attackieren. Er verwandelte das Material zurück in einen Zustand der Verwilderung. Sein „wald cube“, den man jetzt in der Museumsakademie sehen kann, scheint von Schnabelhieben zerpickt, von Bibern angenagt, mit Muscheln bewachsen.

Arbeit verschwindet. Das lässt sich nicht nur aus den Arbeitslosenstatistiken lesen. Sie verliert den Ort ihrer Handlung und wird zu einem Mythos. In Scheinfirmen, die zu trainings- und beschäftigungstherapeutischen Zwecken gegründet werden, lässt sich die virtuelle Arbeit kaum von einer Theateraufführung unterscheiden. In der Medien- und Kommunikationsbranche verlieren ihre Ergebnisse ihre Begreifbarkeit. Man weiß nicht mehr, ob die Zahlen auf dem Bildschirm pure Fiktion und autonomes Kunstwerk sind oder noch mit irgendeinen Referenzobjekt außerhalb verbunden sind.

Arbeit verschwindet und taucht in der Kunst wieder auf. Battistellis Handwerker muten dabei wie ein archaischer Rest an. Der 1953 geborene Komponist, der später noch eine Oper für Stahlarbeiter schrieb, will damit „eine Generation im Gedächtnis zu behalten, die ausstirbt, die nach und nach verschwindet; nicht nur als Beruf, sondern auch im anthropologischen Sinn, mit ihren Händen, den Gesichtszügen, den Falten“. „Experimentum mundi“, mit dem er im Hebbeltheater gastiert, ist aus einer romantischen Perspektive entstanden, gegen den Verlust von Vergangenheit.

Mit kühlerem Kopf beobachtet Torsten Haake-Brandt, 1953 geboren, das Schicksal der Arbeit. Die Präsentation und nicht die Ware erzeugt das Image und die Nachfrage: Diese Lektion hat auch der Kunstbetrieb vom Umbau der Arbeitswelt gelernt. In seinem „1. Fachgeschäft für Nichts“, aufgebaut in der Museumsakademie, beschäftigt Haake-Brandt die fleißige Vermehrung des „Falschen, Überflüssigen und Wertlosen“. Er hat alte Zeitungen mit Damenstrumpfhosen gebündelt, Gläser mit Löschpapier vollgestopft, Plakate und Postkarten „Oldesloer Weizenkorn 9.99“ gedruckt und abstrakte weiße Bilder wie am Fließband gemalt. Die Spitzen seiner Trash-Ästhetik richten sich dabei ebenso gegen Erfolgsrezepte im Kunstbetrieb wie gegen den Wahn ungebremster Wachstumsgläubigkeit. Allerdings verpasst er dabei manchmal den Punkt, indem sich sein speziell erarbeitetes Nichts von üblicher Wegwerfware unterscheidet.

Ab heute Abend lädt Jens Reinert in seine Ausstellung „Arbeitsraum“ in der Rampe 003 neben der Volksbühne. Er zeigt das Modell einer Pförtnerloge und Bilder von Getränkeautomaten, Parkplätzen und Behördenfluren, die er gemalt oder als Modell gebaut hat. Allerdings erzählt er, habe ihn weniger die Arbeitswelt als Thema beschäftigt, als vielmehr die Vorstellung, welcher Funktion der Glaskasten der Rampe 003 früher diente. In vielen ehemaligen Gewerberäumen ist die Kunst zu einer Art Ersatzspieler nach dem Ende der letzten Schicht geworden. Reinert interessieren die Arbeitsräume als „gestaltungsfreie Zone“ und Zufallsstillleben.

Kunst steht immer ein wenig im Verdacht der Scharlatanerie. Den hegen besonders auch die Künstler untereinander. Ich glaube, dass sie sich deshalb gerne mit dem Geruch ehrlicher Arbeit umgeben: um das schlechte Gewissen für ihre Privilegien ein wenig abzubauen.

„Experimentum mundi“, Hebbel-Theater, 23. – 25. März, 20 Uhr. Thorsten Streichardt + Torsten Haake-Brandt in der Museumsakademie, Di. – Sa., 14 – 19 Uhr, bis 5. Mai. Jens Reinert, „Arbeitsraum“ in der Rampe 003 am Rosa-Luxemburg-Platz, bis 22. April.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen