Zuckerwüste Bremen

■ Eine Untersuchung des Zentrums für Sozialpolitik zeigt: Die Ärzte nehmen Diabetiker nicht ernst genug. Spätschäden und hohe Behandlungskosten sind die Folge

Bremen ist aus Sicht von Diabetes-Forschern eine Wüste. Anders als in anderen Bundesländern fehlt hier sogar eine offizielle Schwerpunktpraxis für Zuckerkranke. „Dabei gibt es Erfahrungen und Modelle in anderen Ländern“, sagt der Bremer Gesundheitsforscher Dr. Bernard Braun. Vor diesem Hintergrund dürften Kassen und Ärzte nicht länger als eine Stunde brauchen, um sich auf die Einrichtung eines solchen Bindeglieds zwischen Spezialisten und niedergelassenen Ärzten zu einigen. Doch Fehlanzeige. Die meisten Zuckerkranken werden heute vom Hausarzt behandelt.

Braun hat jetzt für die Forschungseinheit „Gesundheitspolitik und Evaluation medizinischer Versorgung“ am Zentrum für Sozialpolitik der Bremer Universität untersucht, wie Zuckerkranke zwischen 40 und 75 Jahren (Altersdiabetes) behandelt werden. Das Ergebnis seiner Befragung im Auftrag der Gmünder Ersatzkasse (GEK) ist niederschmetternd.

Obwohl der Bundestag im vergangenen Jahr einen Nationalen Diabetesplan verabschiedet hat, lässt die Versorgung von Zuckerkranken – bundesweit – viel zu wünschen übrig. Knackpunkt der Braun'schen Ergebnisse: Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen ÄrztInnen und PatientInnen ist mangelhaft. Oft entsprechen die Behandlungsmethoden den Bedürfnissen der PatientInnen wenig. In der Folge wird die Krankheit von Arzt und Patient vielfach erst spät wirklich ernst genommen. Die Kranken müssen dafür bluten. Manchmal buchstäblich.

Als Folge von schwerer, häufig spät erkannter Zuckerkrankheit, werden in Deutschland jährlich 21.500 Menschen an Gliedmaßen amputiert. Jährlich erblinden bundesweit 2.000 Personen an der Folge der Krankheit, 1.500 müssen wegen Diabetes-bezogenen Nierenschäden an die Dialyse. Die Kosten für solche Diabetes-Folgeschäden – von denen nach Braun viele vermeidbar wären – werden bundesweit auf rund 31,4 Milliarden Mark im Jahr beziffert. Dabei liegen die Behandlungskosten von 3.370 und 11.000 Mark pro PatientIn – im Vergleich zu anderen häufigen Krankheiten – relativ niedrig. Experten tippen, dass das ein Grund dafür sein könnte, warum anhaltende Behandlungsmängel bei der Volkskrankheit Diabetes erst jetzt in den Blickpunkt von Medizin, Politik und Kassen rücken.

Besonders fehlerhaft und folgenschwer ist der Untersuchung zufolge die mangelhafte Behandlung und Beratung jüngerer AltersdiabetikerInnen zwischen 40 und 50 Jahren. Dieser Gruppe könnte schon sehr geholfen werden, wenn sie nur ihre Ernährung umstellte. Mit Diät statt Medikamenten oder Insulinspritzen werden im Ausland heute gute Erfolge erzielt: „Mittelfristig lassen sich mit kalorienreduzierter Kost und Überprüfung der Blutzuckerwerte durch Teststreifen etwa 80 Prozent dieser PatientInnen erfolgreich behandeln“, weiß Braun. Auch in der ehemaligen DDR sei dies mit Erfolg praktiziert worden. Im Gebiet der alten Bundesrepublik dagegen sei die medizinische Behandlung durch eine „abenteuerliche Verquickung verschiedenster Interessen“ in eine andere Richtung gegangen. Zumeist wurden Pillen verschrieben. Sogar die Diät, die im Kern eine aussichtsreiche Behandlungsmethode ist, wird in Deutschland so verkompliziert, dass viele Diabeteskranke sie kaum einhalten. Broteinheiten und teure Reformhauskost überfordern sie. Dabei sei sie wertvoll, weil die Bauchspeicheldrüse dadurch ihre Restfunktion am ehesten erhalte.

Fazit: Wüssten ÄrztInnen mehr vom Leben ihrer PatientInnen, dann könnten sie ihre Behandlung besser auf deren Bedürfnisse abstimmen. Doch auch Kranke müssen mehr über ihr Leiden lernen – um besser damit umgehen zu können. Hier seien Patientenschulungen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

burro