Informatiker nähen selbst

■ Das Technologiezentrum Informatik der Bremer Uni entwickelt Software für „wearable computing“ – gemeinsam mit einer ausgegründeten Firma

Mit einem Neigungssensor im Handschuh Menüfelder auswählen? Per Fingerdruck die Ebene wechseln? Das Ganze auf einem Bildschirm sehen, der knapp über dem rechten Auge hängt? Auch für Technologiefreaks klingt das nach Zukunftsmusik. Aber auf der CeBit können sie es sehen: Auf dem gemeinsamen Messestand der vier nordwestdeutschen Küstenländer präsentiert Bremen das Projekt mobile cooperative work – und liegt damit im Trend der diesjährigen Computermesse: Alles soll diesmal vor allem kleiner und leichter, sprich mobiler sein.

Aber die Bremer beschäftigen sich nicht mit Notebooks oder Palmtops: Es geht in dem Projekt um spezielle industrielle Anwendungen. Sie erfordern eigens gefertigte Mini-Computer, die am Körper getragen werden und die Hände frei lassen. „Die Hardware gibt es längst“, sagt Michael Boronowski, Geschäftsführer des Technologiezentrums Informatik (TZI) an der Uni Bremen. Eine kleine Firma in den USA stellt sie her, aber „alle Großen haben baureife Pläne in der Schublade“, so Boronowski. Sie warten lediglich auf eine entsprechende Nachfrage, um sie auf den Markt zu bringen. „Und genau da liegt unsere Chance“, sagt der Informatiker mit leuchtenden Augen. Wer dann bereits die notwendige Software bieten könne, sei groß im Geschäft.

Am TZI wird seit einigen Jahren an Software für industrielle Anwendungen gearbeitet. Das Testfeld sind die Bremer Stahlwerke. In einem Pilotprojekt – bundesweit das erste seiner Art – werden hier Wartungsarbeiten mit Hilfe des sogenannten „wearable computing“ durchgeführt. Das Ziel ist, dass die Techniker irgendwann mit einem Scanner am Arbeitshandschuh Daten über den Zustand eines Verschleißteils ablesen und sie direkt mit alten Datenreihen vergleichen können – über den Mini-Computer am Hosenbund, der per Funk mit einem normalen, stationären Rechner verbunden ist. Der Bildschirm sitzt tatsächlich mit einer Art Headset auf dem Kopf, die Hände bleiben frei.

Das würde nicht nur lange Wege ersparen – zum Handbuch oder gar ins Büro – sondern auch zuverlässigere Prognosen über den Materialverschleiß erlauben. Und wenn ein Kontrolleur etwas vergessen würde, könnte ihn sein wearable computer erinnern. Die Herausforderung für die Entwickler ist dabei, dass der Anwender die Rechner-Hilfe als zusätzliches, nützliches Werkzeug empfindet und nicht als neue Form der Fremdbestimmung. Sonst ist voherzusehen, dass die emfpindlichen Geräte nicht lange zu Diensten wären.

Noch funktioniert nicht alles, aber zumindest das Kooperationsprojekt mit den Stahlwerken habe schon internationale Anerkennung efahren, freut sich Boronowski. Am Anfang haben Informatikstudenten unter großem Gelächter den ersten Datenhandschuh selbst genäht. Aber mit der Entwicklung zur Marktreife wäre das TZI überfordert. Damit befasst sich die private Firma engenion im Nebenhaus. Geschäftsführer Christoph Ranze war früher selbst am TZI Boronowskis Vorgänger. Als ein anderes Software-Projekt an der Schwelle zur kommerziellen Verwertung stand, hat er die Firma aus dem TZI ausgegründet – die Universtität selbst darf schließlich der privaten Wirtschaft keine Konkurrenz machen.

Engenion, das einem mittelgroßen Technologieunternehmen gehört, hat vor knapp einem Jahr mit drei Leuten angefangen. Heute arbeiten dort zwölf festangestellte Mitarbeiter, zum Jahresende sollen es 20 sein. Engenion finanziert außerdem zwei Wissenschaftler, die am TZI forschen. Wenn die TZI-Projekte Gewinne abwerfen, fließt ein fest vereinbarter Prozentsatz an die Universität zurück.

Und Ranze sieht eine rosige Zukunft: Die Bremer Innovations-Agentur (BIA) hat wearable computing zu einem ihrer Förderscherpunkte im Rahmen des T.I.M.E.-Programms erklärt. Und knapp 30 interessierte Bremer Unternehmen haben sich zu einem Arbeitskreis zusammengeschlossen, der „Forschungsaufgaben“ an die Wissenschaftler formulieren soll. Ein „wearlab“ im TZI soll dagegen eigenständig Angebote an die Firmen machen. Noch gibt es dafür aber keine Finanzierung.

Wenn diese Kooperation zwischen Wirtschaft und Uni nicht abbreche, so Ranze, habe Bremen eine echte Chance auf eine Marktnische. Dann könnte hier neben Software aus Spezialhardware für industrielle Anwendungen produziert werden. Sein Traum geht aber noch weiter: Am liebsten würde er die Software aus dem TZI für Alltagstechnik verfügbar machen – zum Beispiel für Handys. „Aber wer weiß“, sagt er augenzwinkernd, „vielleicht werden die Bildschirme vor dem Kopf ja auch Lifestyle-Objekte.“ Jan Kahlcke