Schmachten, sterben, traurig sein

■ Sascha Merlin kann nicht zaubern. Dafür kann er singen. Im Packhaus-Theater serviert Merlin jetzt sein Programm „Augen in der Großstadt“ mit Chansons von Brèl, Piaf und Merlin

Das Leben ist ein Chanson. Zumindest wenn man in die Welten von Sascha Merlin eintaucht. Schon der Künstlername verheißt Musik: Merlin, der große Zauberer und Berater von König Artus, konnte die Leute mit seiner Stimme zufrieden und glücklich machen. Aber Sascha Merlin, 36, des Zauberns nicht mächtig, zog am Donnerstag im Packhaustheater das Publikum trotzdem mit seinem samtigen Gesang in den Bann. Obwohl sich während des Konzerts eher Melancholie denn Glückseligkeit in die Seele schlich. „Augen in der Großstadt“, eine deutsch-französische Mischung mit Liedern von Edith Piaf, Jaques Brèl, Kurt Tucholsky und sechs eigenen Stücken ist bereits sein drittes Programm mit dem 25-jährigen Berliner Pianisten Kersten Kenan.

Die Chansons sind so zusammengestellt, als wolle Merlin der Aufforderung von Juliette Grèco „Parle moi d'armour“ – Erzähle mir von der Liebe, in jeder Hinsicht nachkommen. Denn irgendwie dreht sich doch alles um das große Gefühl. Im ersten Teil: „Les mots d'armour“ sowieso. In den Brèlstücken, im berühmten „Non, je ne regrette rien“ der Piaf, in Merlins Liebeserklärungen an Berlin und Hamburg.

Fast so schlank und senkrecht wie sein Mikrophonständer steht er barfüßig im schwarz-roten Outfit auf der Bühne und verkörpert Leidenschaft. Er hebt die Hände, ballt sie zur Faust und lenkt den Blick schnell wieder auf die Mimik. Mal lächelnd, mal schmerzverzerrt und in sich gekehrt. Zwischendurch redet er über sich, über seine Liebe. Nicht in Paris hat es ihn erwischt, sondern im wenig reizvollen São Paulo. Das Objekt der Begierde war auch keine Frau, sondern ein Prinz. Und der hat Merlin, den wilden Fuchs, im zweiten Teil „Allein in einer großen Stadt“ gezähmt. „Il est ma vie“ – er ist mein Leben, singt er am Schluss seiner Eigenkreation „Le prince“, und man meint, er bricht gleich in Tränen aus.

Chansons sind immer ein bisschen kitschig und der Interpret muss es eben auch sein. Aus seiner Homosexualität macht Sascha Merlin keinen Hehl und weckt bei den haupsächlich reiferen ZuhörInnen auch kein sichtbares Befremden. Herzschmerz kann man nur überzeugend ausdrücken, wenn man ihn fühlt. „Wladimir, Du willst mein Freund sein, Wladimir meine Sehnsucht brennt wie tausend Feuer“, schmachtet er mutig und echt. So selbstverständlich wie er von der Beziehung zwischen Jürgen und Antonio berichtet, so selbstbewusst lugt ein schwarzes Dessous unter seinem geöffneten Hemd hervor. Merlin versteht etwas von den Gaben und Qualen der Liebe. Die privaten Stories von Erfolgen und Misserfolgen belegen das. Zuweilen trägt er in seinen eigenen Texten aber zu dick auf. „An manchen Tagen scheint ein Licht, aber wir verschließen unser Herz, das schon alt ist.“

Singen kann er besser. Seine weiche, zugleich kräftige Stimme erwärmt so richtig das Gemüt. Auch wenn man eigentlich traurig sein will. Bei fünf Chansons über den Tod zum Beispiel. Laut und leidenschaftlich schreit er Angst, Wut und Trauer mit Brèls „J'arrive“ heraus. „Pourquoi moi?, Pourquoi déjà?“ Warum muss ich sterben? Warum jetzt schon? Dazu Kenans traurig-süße Klaviertöne in Moll. Die gefühlvollen Kompositionen zu Merlins Texten und sein zurückhaltendes Begleitspiel gleichen die Aufregung schön aus. Das Duo wird von den dünn gesäten Zuhörern bei jeder Gelegenheit ausgiebig beklatscht.

Maria Hufenreuter

Foto: Birgit Weise

Weitere Aufführungen: Heute und morgen 20 Uhr im Packhaustheater im Schnoor Karten: (0421) 32 60 54