Bestellt und „nicht abgeholt“

Wenn der Postmann nicht mehr klingelt: Die Rationalisierung bei der Deutschen Post stellt ihre Kunden vor harte Herausforderungen. Ein Bericht aus dem Inneren der Bestie

Mein Briefträger heißt Müller, genau wie ich. Er kennt nicht nur den Unterschied zwischen mir und der Familie Müller ein paar Häuser weiter, sondern hat mir in den Jahren seines Wirkens nie einen Grund zur Klage gegeben.

Seitdem die Post Verträge mit Subunternehmen zur Beförderung größerer Briefe und Fracht hat, ist alles anders. Mehrfach wurden Büchersendungen vor meine Tür gelegt oder oben auf dem Briefkasten gestellt, sozusagen zum Mitnehmen. Doch seit Neuestem werden an mich adressierte Päckchen und Büchersendungen sogar einfach zurückgeschickt, ohne mich zu informieren. Die Zusender finden dann auf ihren Brief einen Stempel mit der Bemerkung „nicht abgeholt“ – so geschehen mit einer Videokassette, die mir ein TV-Sender sandte, und einer CD, die Egill aus Reykjavík schickte.

„Was ist mit der Post los?“, fragte Egill per Mail: „Ich habe einer Freundin in Berlin ein Paket Trockenfisch gesandt – das kam auch zurück!“ Ich rief eine Postservicenummer an, wo ein schlimmes Musikstück erklang und dazwischen eine schöne Stimme sagte: „Leider sind zur Zeit alle Plätze belegt. Rufen Sie einfach die Nummer 75 47-0 an“. Leider ertönte dort nur durchgehend das Besetztzeichen.

Mit einem grauen Benachrichtigungszettel, der sich in meinen Briefkasten verirrt hatte, ging ich in die Zweigstelle Skalitzer Straße. Prompt tauschte die blaugelb gekleidete Dame hinter dem Schalter den Zettel in ein Päckchen um, dass an einen Matthias Müller in der Reichenberger Straße adressiert war. „Das bin ich ja gar nicht“, entrutschte es mir, und die verblüffte Beamtin warf einen zweiten Blick auf meinen Personalausweis. „Tatsächlich“, murmelte sie, entriss mir die Beute und wühlte in einer Schublade, um mir einen dünnen Umschlag zu überreichen, der eine Ausgabe von Goethes „Die Metamorphose der Pflanzen“ enthielt. Vielleicht hätte das von einem Antiquariat gesandte Büchlein Matthias Müller ja erfreut, wer weiß?

„Die Post funktioniert nicht mehr bei mir. Wo kann ich mich beschweren?“, fragte ich die Beamtin. Freundlich wurde mir bedeutet, um die Ecke zu gehen: „Aufgang B, Zimmer 200!“ Dort traf ich einen sympathischen Herrn, der mich darüber aufklärte, dass die Beschwerdestelle des Nachbarbezirks gerade wegrationalisiert worden sei, dieser hier ein ähnliches Schicksal drohe und die Post außerdem mit den an mich gesandten Büchersendungen nichts zu tun habe: „Das sind Frachtzustellungen, die alle zuerst in Rödersdorf ankommen. Haben Sie eine rote Karte, eine blaue oder eine graue Karte als Benachrichtigung bekommen?“ Nichts hatte ich bekommen. Er kritzelte die Nummer 033-63 84 62 74 auf einen Zettel und sagte: „Frachtzustellung Rödersdorf, rufen Sie da an.“

Tatsächlich geschah das, was ich befürchtet hatte: „Hoffentlich verweisen die mich nicht wieder auf eine andere Stelle oder spielen mir am Telefon Musik vor, die ich nicht bestellt habe.“ Rödersdorf am Apparat, eine männliche Stimme: „Nein, Berlin beliefern wir ja gar nicht. Wir versenden nur an die Umgebung hier. Versuchen Sie doch mal die Nummer 25 45 82 60 oder die 25 45 82 72 oder die 25 45 82 63.“

Unter der ersten Nummer meldete sich niemand und unter der zweiten eine fröhliche Männerstimme, die mir mitteilte, dass sie eigentlich nichts machen könne, wenn sie keinen der zurückgesandten Umschläge mit Stempel und Unterschrift sehen könne. „Der ist natürlich in Island.“ Daraufhin murmelte die Stimme: „Das ist schlecht. Vielleicht kann ihr Bekannter den bestempelten Umschlag nach Berlin schicken?“ Ob Egill dann sein Porto wiederbekäme, wollte ich wissen. „Wahrscheinlich ja. Aber wenn es Frachtpost ist, haben wir damit nichts zu tun. Rufen Sie aber zur Sicherheit die Nummer 033-63 84 62 78 an.“

Schön, dass es E-Mails gibt. Egill scannte den bestempelten Umschlag und mailte ihn mir zu. Morgen gehe ich mit dem Ausdruck ins Zimmer Nr. 200, und dann werden wir sehen, ob Egill seine 500-Isländische-Kronen-Marke bezahlt bekommt, von der Deutschen Post, der privaten Deutschen Postfracht oder gar nicht – und welche Telefonnummern die Post für mich noch so auf Lager hat.

WOLFGANG MÜLLER