Festung Europa ausgedehnt

Ab morgen werden Dänemark, Schweden und Norwegen zu Schengen-Ländern. Kritiker sehen darin Gefahren für den Persönlichkeitsschutz durch Datenmissbrauch

STOCKHOLM taz ■ Morgen wird eines der letzten Schlupflöcher dicht gemacht, über das Flüchtlinge bislang noch auf legalem Wege in die EU gelangen konnten. Über die „russisch-baltische Route“ in eines der skandinavischen Länder. Dann werden Dänemark, Schweden und Finnland Schengen-Länder, ebenso – dies ist eine Premiere – wie zwei Nicht-EU-Mitgliedstaaten: Norwegen und Island. Gleichzeitig wird damit die Schengen-Außengrenze dort aufgerichtet, wo das ausgeprägteste Wohlstandsgefälle zwischen der Europäischen Union und Resteuropa aufeinander trifft: Zwischen Russland, den baltischen Ländern und den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten.

Aus Angst vor grenzenloser Kriminalität suchen diese Länder neue Methoden: So hat Dänemark beschlossen, in Zusammenarbeit mit der deutschen Polizei „Verkehrskontrollen“ einzuführen, die die nicht mehr zulässigen Passkontrollen ersetzen. Seit Jahren haben sich Schweden und Finnland darauf vorbereitet, die „Festung Europa“ nach Osten abzudichten, und längst sind die Verbindungskanäle zur Polizei bisheriger Schengen-Länder eingerichtet. Auch ins „Schengen Information System“ (SIS) hatte man sich mit einklinken dürfen.

Schon hat der Datendinosaurier erste Mäuslein geboren. In der „Schengen-Probezeit“ seit dem 1. Januar sind acht gestohlene Autos gefunden worden, 27 Pässe und drei Personen, nach denen gefahndet worden war. Schwedens Polizei hat das SIS mit 3.500 Personen aus dem eigenen Fahndungsregister und 290.000 Daten anderer Art aufgefüllt. Die Polizeibehörden der übrigen nordischen Schengen-Neulinge versuchen mit ähnlichen Zahlen zu suggerieren, Schengen sei nichts anderes als eine besser funktionierende Polizeizusammenarbeit.

Nicht nur EU-GegnerInnen und Flüchtlingshilfsorganisationen sehen dies anders. Für die meisten SkandinavierInnen tun sich keine Reiseerleichterungen auf, sondern es entsteht die Notwendigkeit, künftig den Pass auch bei Reisen in die nordischen Nachbarländer mitnehmen zu müssen: Ab morgen ist nachzuweisen, dass man MitbürgerIn eines skandinavischen Landes ist, um an den neuen mobilen „inneren Kontrollen“, welche die Passkontrolle an der Grenze ersetzen sollen, keine Probleme zu bekommen. Ausweise waren hier angesichts der in Skandinavien lange funktionierenden nordischen Passunion seit Jahrzehnten nicht nötig. Und auch für FreizeitseglerInnen ist die Freiheit der Ostsee passé: Deutsche müssen sich künftig beim Hafenmeister auch ausweisen, laufen sie einen skandinavischen Hafen an.

An den finnisch-russischen Landgrenzstationen und in den nordischen Ostseehäfen mit Fährverkehr gen Osten darf das Zoll- und Passpersonal ab morgen das, was es seit 1998 etwas am Rande der Legalität eingeübt hat: Die äußerste östliche Schengen-Grenze der EU bewachen. Zehntausende illegal gesammelter Daten von „verdächtigen“ Personen und Autokennzeichen sind ab 25. März legal gespeichert. Sie können mit den SIS-Dateien koordiniert und EU-weit benutzt werden, um „verdächtigen“ Personenverkehr zu kontrollieren und zu stoppen. Bislang waren es nur ausnahmsweise dicke Fische, denen man damit auf die Spur kam. Nicht mal litauische und lettische Diebesbanden, die im dünn besiedelten Schweden oder Finnland schnelle Einbruchstouren durchführen, konnte man stoppen.

Schengen wird daran kaum etwas ändern. Dafür sind im Datennetz aber jede Menge Reisende, Geschäftsleute oder Touristen hängengeblieben, die „auffallend häufig“ die Grenzen queren. „Alles, was wir bislang aus Gründen des Integritätsschutzes abgelehnt haben“, so Janne Flyghed, Kriminologe an der Universität Stockholm, „bekommen wir durch die Schengen-Hintertür. Jetzt haben wir ein Register, in dem man schon bei leisestem Verdacht landen kann.“

REINHARD WOLFF