Schweden im Pech

Premier Persson wollte beim EU-Gipfel in Stockholm über Sozialpolitik reden. Stattdessen stehen der Balkan und die Agrarpolitik im Mittelpunkt

STOCKHOLM taz ■ Der EU-Gipfel der 15 Staats- und Regierungschefs begann gestern in Stockholm mit einem negativen Ergebnis: Frankreich widersetzt sich auch weiterhin der Forderung der EU-Mehrheit nach einer schnelleren Liberalisierung der Energiemärkte. Und auch ansonsten konnte Gastgeber Göran Persson nicht gerade glücklich mit dem ersten Tag des Treffens sein. Balkanpolitik und Maul- und Klauenseuche brachten die Tagesordnung gehörig durcheinander, die beiden Lieblingsthemen der schwedischen Ratspräsidentschaft – Osterweiterung und Sozialpolitik – mussten in den Hintergrund treten.

Daran waren vor allem Großbritannien und die Niederlande schuld, die über die EU-Hilfe für ihre von MKS heimgesuchten Länder debattieren wollten. Mehr als einige allgemeine Phrasen kamen bei einer ersten Runde – die man unter Hinweis auf den gleichzeitig in Brüssel tagenden Veterinärausschuss schnell beendete – aber nicht zustande: Solidarität mit den betroffenen Bauern, ein Vertrauensbekenntnis in die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen und die Notwendigkeit einer neuen Lebensmittelpolitik. Der Streit um die Platzierung des geplanten EU-Lebensmittelbüros, um das sich Helsinki, Luxemburg und Parma bemühen, führte dazu, dass ein Gründungsbeschluss bis zum Gipfel in Göteborg im Juni verschoben wurde.

Die Diskussion des eigentlichen Gipfelthemas – die europäische Beschäftigungs- und Bevölkerungspolitik im Zeichen einer abflachenden Konjunkturkurve – wurde in die freie Nachmittagsstunde zwischen der Verabschiedung des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin und dem Empfang des makedonischen Präsidenten Boris Trajkowki geklemmt. Während das Treffen mit Trajkowski der Information über die Situation in seinem Land und über mögliche Hilfen der EU gewidmet war, standen bei der Diskussion mit dem russischen Ministerpräsidenten vor allem Wirtschaftsfragen im Mittelpunkt. Der Ausbau der Zusammenarbeit und eine wachsende ökonomische Integration Russlands mit der EU sollen die Grundlinien des künftigen Verhältnisses zu Moskau sein. Russland will westliche Investitionen erleichtern, wird neue Kredite der Europäischen Investitionsbank erhalten, und die EU stellt auch wirtschaftliche Hilfe für Kaliningrad in Aussicht. Konkrete Beschlüsse werden aber frühestens beim Treffen der EU mit Russland im Mai in Moskau gefasst. Während die EU die Menschenrechtslage in Tschetschenien kritisierte, konnte es sich Putin nicht verkneifen, das Vorgehen der „Terroristen“ in der Kaukasusrepublik mit der derzeitigen Lage in Makedonien zu vergleichen.

Nicht weniger als 23 Demonstrationen waren gegen den EU-Gipfel angemeldet worden, doch die dafür abkommandierten über 1.000 Polizisten konnten in Ruhe die Frühlingssonne genießen. So hatte etwa der schwedische Attac-Ableger seine Demo gleich ganz abgesagt, da es „sinnlos ist, weit vom Gipfel entfernt vor Barrikaden zu demonstrieren“. Tatsächlich hatte die schwedische Regierung aus Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen das Gipfeltreffen in ein hermetisch abgeschirmtes Messegelände am Rande der Hauptstadt verbannt. Von der von Stockholm angekündigten „neuen Offenheit“ gegenüber EU-KritikerInnen war nichts zu spüren.

REINHARD WOLFF