kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Indoor-Climbing

„It's Show-Time“, sagt Dieter Lazik und springt ans Gerät. Nun hängt er dran wie eine Tarantel im Netz und steigt vorsichtig von Knauf zu Knubbel. Er könnte endlos klettern, vorausgesetzt er hat nicht das Programm neun gewählt. Die Neun würde ihn nach wenigen Augenblicken abschütteln. 22 Minuten lang spinnt sich ein Zufallsgenerator eine extreme Klettertour zusammen, mit Überhängen und waghalsigen Passagen.

Noch kein Kletterer hat die Neun durchgestanden. Lazik probiert lieber die Zwei. Reicht auch, um ins Schwitzen zu kommen. Dann plumpst er auf die Matten. Der Boden ist weich gepolstert – im Gegensatz zum Gebirge. Auf Laziks Klettertour entfernt man sich nie mehr als zwei Meter vom Erdboden, kommt in den Genuss ultimativer Sicherheit, muss aber auch verzichten: auf das Bergpanorama, auf Wind und Wetter.

Der „Boulder 2800“ holt die Steilwand ins Fitnessstudio. Oder in die Trainingshalle. Zum Beispiel in die des sportmedizinischen Instituts der Universität Potsdam, wo Dieter Lazik Ideen aus seinem „kranken Hirn gebiert“. Die Scheibe misst knapp drei Meter im Durchmesser, dreht sich und kippt und dient zur Simulation der schwierigsten Felsen. Der Erfinder hat all sein „Hirnschmalz reingedrückt“.

Reinhold Messner ist vom Gerät begeistert. „Alle Schulen sollten das Ding anschaffen“, sagt Messner. Weil der Alpinist so schön Werbung gemacht hat für die Mannen aus Potsdam, hat er ein Kletterrad mit nach Südtirol nehmen dürfen, kostenlos. Lazik war ihm dankbar, dass er die Promotion in Gang brachte, schließlich sagt der Sportbiologe von sich: „Ich kann sehr gut entwickeln, aber nicht verkaufen.“

Neun Boulder sind weggegangen. Das Stück für 50.000 Mark. In den Vereinigten Ararbischen Emiraten und in Japan kleben nun auch Kletterfreunde an einer Scheibe. Obwohl Lazik „noch nie am Markt vorbei entwickelt“ habe, hat eine Kundengruppe noch nicht zugeschlagen: Firmen und Großraumbüros. Die könnten den Boulder für die Angestellten zur Pausengestaltung kaufen, hat sich Lazik überlegt und dann festgestellt: „Das ist sehr unrealistisch. Man braucht schon ein sehr großes Büro.“

Leider kriselt die Berliner Start-up-Branche ganz fürchterlich, die bestimmt eine Scheibe gehabt haben wollte. Wo zur Entspannung gekickert, gegolft oder mit der Wasserpistole geschossen wird, da steht noch immer kein Klettergerät. Dabei handelt es sich um den Trendsport Nummer drei. Und obendrein könnten all die Freizeit-Messners und abgestürzten New-Economy-Yuppies ihre „Muskelschlingen“, ganz zu schweigen von ihrer Kondition, trainieren. Risikolos. Und wer die Stabilität des Kletterrads in Zweifel zieht, dem sagt der Tüftler: „Selbst ein Sumo-Ringer kann da ran.“

Berliner Kletterer können auch das Gehen an einem Kletterstieg simulieren. Eine bayerische Firma hat dazu eine Leiter entwickelt, günstiger im Preis (16.990 Mark) und sehr stabil. Die Berliner Feuerwehr testet daran Einsätze mit Atemschutzmaske. Eishockeyspieler schätzen das Gerät, weil ihnen das Fahrrad-Ergometer zu anspruchslos ist. Eine andere Möglichkeit bietet das Kletterband. An dem aufrechten Fließband sind Steighilfen montiert. Nach einer Weile bietet das aber nur noch wenig Überraschungen, weil die Griffe stets an der gleichen Stelle durchlaufen.

Der Boulder eröffnet mehr Möglichkeiten. So dient er auch der medizinischen Rehabilitation. Körperlich behinderte Kinder verbessern ihre Motorik. Jugendliche mit Trisomie 21 arbeiten am Körpergefühl.

Dieter Lazik, Schlosser, Sport- und Geschichtslehrer, Masseur und Bademeister, Heilpraktiker und Trainingstherapeut – all das hat er gelernt – erfindet weiter. Das ist nun mal seine Leidenschaft. Elf Patente hat er angemeldet. Sein neues Projekt ist noch streng geheim. Er verrät dann doch, dass er an einem Fahrrad bastelt, wo auch die Arme kurbeln. Der Erfinder Lazik folgt einem inneren Drang. „Das liegt an den Genen“, sagt er.MARKUS VÖLKER

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 10 Punkte