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Kurzarbeit vorm Geburtstag

Einer hohlen Möchtegern-Show lässt Wladimir Klitschko einen profunden Kampf folgen: Bereits in der zweiten Runde schickt er seinen als Straßenkämpfer angetretenen Kontrahenten auf die Bretter

aus München ALBERT HEFELE

Bravo! Das war Maßarbeit. K.o. in der siebten Runde und auf die Minute. Schlag elf Uhr! Wie mit der Stoppuhr. Wie von Premiere, respektive Universum-Box-Promotion bestellt. Als hätte einer der zahllosen Kampfbegleiter und steifbeinig durch die Sedlmayer-Halle staksenden Security- Schränke Fernando Montiel zugerufen: „Kssss! Fernando! Elfe! Schluss machen!“ Und Fernando: „Elfe schon? Ich bin ganz durcheinander mit dieser Zeitumstellung heute. Aber wenn du’s sagst ..., dann mach ich Schluss.“

Gesagt, getan. Eine schnelle Kombination, und es war Ruhe im Ring. Solche Vorkämpfer brauchen Premiere World und der Universum-Boxstall. Was war geschehen? Die WBO- Weltmeisterschaft im Fliegengewicht zwischen Fernando Montiel aus Mexiko und dem Hamburger Zoltan Lunka. Wen das interessiert? Niemanden natürlich. Vor allem nicht, wenn im Hauptkampf einer der Klitschkos boxt. Fliegengewicht! Pah! Solche Zeitschinder haben nur die Funktion, das Publikum etwas in Stimmung zu bringen. Vor allem die Leute auf den oberen Rängen, die sich nicht die sauteuren Karten am Ring leisten können oder wollen. Da sitzen Wildmosers mit Begleitung. Weiter oben sitzen Leute wie Gernot. Gernot, der offenbar Probleme mit den Polypen hat. Lustige Leute, gut aufgelegte Leute. „Hau ihn um!“ – beziehungsweise „Die sollen boxen, nicht tanzna!“ Gernot sagt: „Tanz-na ...!“ Seine Polypen zwingen ihn offenbar dazu, an manche Wörter einen kleinen phonetischen Schlenker anzuhängen. Die Stimmung ist aber trotzdem gut. Man ist entschlossen, sich was fürs Geld zu holen. Wenn es nicht Boxen ist, dann müssen halt die Nummerngirls zur Unterhaltung und als Zielscheibe schamloser Machismen dienen. Arme, schlanke Dinger, die sich nach jeder Runde mühsam durch die Seile in den Ring schlängeln und dann ein Schild in die Runde zeigen, auf dem eine Zahl steht und eine Biersorte. Runde drei – und Abgang – das sind Karrieren.

Gernot ruft: „Ausziehn-na!“ So weit kommt es Gottseidank nicht, vielleicht auch, weil Fernando Montiel aus Mexiko superpünktlich Schluss gemacht hat. Schlag elf. Schließlich hatte der Hamburger Universum Boxstall etwas gutzumachen. Nach der Pleite von Ende Januar, als Vitali Klitschkos Kampf gegen Orlin Norris schon nach zwei Minuten vorbei war und die Zuschauer mit Bierbechern geworfen hatten, wollte man die Geduld der treuen Fans nicht unnötig auf die Folter spannen. Worte des Ringsprechers: „Weil der Vorkampf nicht über die volle Distanz ging, müssen wir noch etwas warten.“ Das Publikum pfeift. Der Ringsprecher sagt: „Ich danke für Ihr Verständnis.“ Eine dicke Haut ist im Boxgeschäft von Vorteil, und schließlich gehen auch 25 Minuten irgendwann vorbei. Und dann kann es endlich richtig losgehen. Wladimir Klitschko gegen Derrick Jefferson. Immerhin die Nummer zehn in der WBO-Rangliste. Ein zäher Brocken, hieß es im Vorfeld.

Einer, der noch mit gebrochenem Knöchel weitergefightet hätte. Einer, der sich brüstet, im Training mit Grizzlybären zu ringen. Einer, dem sie schon mal ins Bein geschossen haben. Ein Streetfighter! Worte des Herausforderers: „Dies wird ein Kampf für die Typen mit den Sixpacks und der Pizza.“ Das hört sich doch gut an. Das wollen die Leute sehen, die Sedlmayer-Halle war jedenfalls überraschenderweise gut gefüllt.

Und es gab einiges zu sehen! Nachdem der eifrige Jefferson schmucklos in den Ring gestürmt war, wurde große Unterhaltung geboten. Da blieb sogar Gernot mit den Polypen stumm. Während sich nämlich mehrere Jungfrauen in langer Garderobe eins geigten, während im Ring ein etwas alberner Mensch den Song für Wladimir schmetterte, erschien jener plötzlich wie von Geisterhand und nebelumwabert, in einem illuminierten Türchen. Dann begab sich Wladimir zum Ring, immer und ständig von erwähntem Sänger gestisch begleitet und besungen. So sah es jedenfalls aus, und so hörte es sich an – und es war nichts weniger als eine unglaublich würdelose und unerträgliche Aufführung. Wer immer aus dem Management meint, dieser Zinnober hätte Klasse, der gehört von beiden Klitschkos ausgiebig verprügelt.

Und der Kampf? Welcher Kampf? Ach so, der Kampf! Gernot hatte kaum einmal: „Nicht schmusna!“ rufen können, da war es schon wieder vorbei. Technischer K.o. in der zweiten Runde, mit einem Niederschlag schon in der ersten. Derrick Jefferson hatte nur zwei Fehler gemacht: Zum Ersten hatte er gleich zu Beginn den Champ mit einem rechten Haken zum Kopf geärgert. Zum Zweiten hatte er nach zwei Minuten seine nicht sehr elegant aussehenden Versuche, um keinen Preis aus dem Infight zu gehen, etwas vernachlässigt und war dafür umgehend bestraft worden. Zusammengefasst: keine Chance.

Was bedeutet das nun? Ist der kleine Klitschko so stark – oder Jefferson so schwach. Sicher ist: Durch das schnelle Ende des Kampfes konnte Wladimir Klitschko um Mitternacht seinen 25. Geburtstag gebührend begehen. Es gab „Happy Birthday“ in verschiedenen Sprachen und eine Torte, die sich kerzensprühend von der Decke senkte. Sicher ist aber auch: Wenn man die sportliche Bilanz Wladimir Klitschkos nicht völlig verwässern will, müssen nun die anerkannt dicken Brocken kommen. Sonst feiert Wladimir auch noch seinen Dreißigsten mit einem Eineinhalb-Runden-Kampf. Und dann wird nicht einmal mehr Gernot da sein und rufen: „Hau ihn aus den Latschna!“

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