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: Nordirlands Team zwischen den Fronten

Der neunte Kreis der Hölle

Das Qualifikationsspiel gegen Tschechien ging zwar 0:1 verloren, aber das Ergebnis war für die Nordiren eher nebensächlich. Bei der Fußball-WM in Japan und Südkorea werden sie im nächsten Jahr ohnehin nicht dabei sein. Wichtiger war es ihnen am Samstag, dass die heimischen Fans ihren ramponierten Ruf aufbesserten. So wurden vor dem Stadiontor in Belfast Zehntausende Flugblätter verteilt, auf denen die Zuschauer um Besonnenheit und Fairness gebeten wurden – gegenüber den eigenen Spielern.

Das Freundschaftsspiel gegen Norwegen ist noch in guter Erinnerung. Die Gäste siegten Anfang des Monats in Belfast mit 4:0. Die Fans überhäuften den nordirischen Mittelfeldspieler Neil Lennon von Anfang an mit wüsten Beschimpfungen, so dass er sich in der Halbzeitpause auswechseln ließ. Sie nahmen ihm keineswegs seine Leistung auf dem Platz übel, gehörte Lennon doch zu den Besten seines Teams. Aber er hat die falsche Religion: Er ist katholisch. Erschwerend kommt hinzu, dass der 29-Jährige mit den blond gefärbten Haaren für den falschen Verein spielt, nämlich für Celtic Glasgow.

Die Rivalität zwischen Celtic und Rangers wird in Nordirland mindestens genauso erbittert ausgefochten wie in Glasgow. Wer protestantisch ist, unterstützt Rangers, Katholiken sind für Celtic. Neil Lennon stammt aus Lurgan, einer Kleinstadt südwestlich von Belfast. Es war sein Kindheitstraum, einmal für Celtic zu spielen, sagt er. Im vorigen Jahr ging der Traum in Erfüllung; Lennon wechselte von Leicester City zu Celtic. Seitdem ist er der meistgehasste Spieler im Belfaster Windsor Park, wo Nordirland die Heimspiele austrägt.

Es ist das wohl einzige Stadion der Welt, wo selbst die heimischen Fans voneinander getrennt werden müssen. „Für Katholiken ist der Windsor Park etwa so einladend wie der neunte Kreis der Hölle“, sagt der Journalist und Fußballfan Paul O‘Kane aus Belfast. Das Stadion liegt mitten im „Village“, einem protestantischen Ghetto, dessen schmale Gassen mit Wandgemälden bewaffneter Kämpfer verziert sind. Der Windsor Park gehört dem FC Linfield, einem protestantischen Verein, bei dem bis 1991 keine Katholiken spielen durften. Dann wurde das Verbot auf Druck des internationalen Verbandes Fifa aufgehoben.

Die Mentalität der Zuschauer hat sich seitdem nicht geändert. Noch immer singen die Fans die Hymne der Glasgower Faschisten aus den Dreißigerjahren, noch immer ist es ihnen lieber, ihr Team verliert, als dass es katholische Spieler aufnimmt. So wagen sich nur noch wenige Katholiken ins Stadion. „Liverpool, Manchester United, Rangers und Celtic haben allesamt mehr Fans in Nordirland als Nordirland“, sagte ein früherer Trainer der nordirischen Mannschaft. An einer Wand in der Nähe von Neil Lennons Elternhaus ist der Satz geschmiert: „Neil Lennon R.I.P.“, daneben ein Galgen.

Im vorigen September, als er noch bei Leicester City spielte, trat Lennon mit seinem Team in Wien gegen Roter Stern Belgrad im Uefa-Pokal an. Während des gesamten Spiels bedachten die Belgrader Fans die beiden schwarzen Leicester-Spieler Andrew Impey und Ade Akinbiyi mit rassistischen Schmährufen. Lennon beschwerte sich: Das Verhalten der Belgrader Fans sei eine Schande und dürfe nicht hingenommen werden, sagte er. Leicesters Vorsitzender John Elson sagte dagegen: Profis müssen mit so etwas leben.

Nordirlands Trainer Sammy McIlroy sagte dasselbe nach Nordirlands Spiel gegen Norwegen. Als ihn ein Reporter darauf hinwies, dass es sich bei Lennon um die eigenen Fans handle, meinte McIlroy, er habe Schlimmeres erlebt.

Dann meldeten sich gemäßigte protestantische Politiker zu Wort und forderten den nordirischen Fußballverband auf, etwas zu unternehmen. Es fiel dem Verband nicht leicht, sind die Funktionäre doch seit Gründung der Vereinigung antikatholisch eingestellt. So verwehren sie Donegall Celtic, einem Club aus dem katholischen Westbelfast, seit Jahren den Aufstieg in die erste Liga, obwohl der Verein stets die zweite nordirische Liga gewinnt. Der Verband stimmt einfach dagegen und bewahrt den Tabellenletzten der ersten Liga dadurch vor dem Abstieg. In jeder anderen Liga der Welt gebe es Aufsteiger und Absteiger, klagte der Donegall-Vereinspräsident, doch der Verband konterte: „Wir glauben nicht an so etwas. Wir glauben an die Demokratie.“

Vorgestern mussten die Verbandsoberen aufgrund der schlechten internationalen Presse reagieren. Sie verteilten Ordner über das ganze Stadion, die jeden hinauswerfen sollten, der sich an den Beschimpfungen gegen Neil Lennon beteiligte. Außerdem wurden die Eintrittskarten registriert, so dass jeder Eigentümer einer Sitzplatzkarte namentlich bekannt war. So hatte Lennon diesmal einen ruhigen Nachmittag, doch der Hass der Fans seines eigenen Teams ist nicht gewichen, das zeigten die Interviews mit einigen Zuschauern. Auch das macht deutlich, welch weiten Weg der nordirische Friedensprozess noch zurücklegen muss. RALF SOTSCHECK