Makedonische Offensive eskaliert

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Rebellen trägt bereits offen militärischen Charakter, auch wenn die Armee offiziell noch nicht daran teilnimmt. Slawische Staaten und Griechenland leisten der makedonischen Regierung Waffenhilfe

von ERICH RATHFELDER

Laut dröhnten die Ketten der Panzer gestern Morgen in den Straßen der Stadt Tetovo. Makedonische Sicherheitskräfte schossen von der Stadt aus mit Artillerie auf die höher gelegenen Gebiete, die von den albanischen Rebellen der UÇK beherrscht werden. Die von der Regierung in Skopje lange angekündigte große Offensive hatte begonnen. Sie hat das Ziel, die Kämpfer der UÇK aus Makedonien zu vertreiben und die Kontrolle über das von der UÇK beherrschte Sar-Gebirgsmassiv zurückzugewinnen.

Mit sechs Panzern, zwei Hubschraubern und Infanteriesoldaten rückten die makedonischen Sicherheitskräfte gegen das von Albanern bewohnte Dorf Gajre vor. Das Gelände begünstigt die in den Bergen sitzenden albanischen Rebellen. Für Journalisten war war es bis gestern Nachmittag nicht auszumachen, ob es den makedonischen Sicherheitskräften gelungen ist, diese tatsächlich zurückzudrängen. Augenzeugen berichteten am frühen Nachmittag, die makedonischen Streitkräfte hätten Verstärkungen in die Kampfzone gebracht – darunter drei Panzer.

Seit Tagen war die Operation mit Artillerieangriffen auf die von der UÇK beherrschten Dörfer vorbereitet worden. Wie viele der dort befindlichen Zivilisten verletzt oder getötet wurden, ist noch nicht bekannt. Die makedonische Regierung hatte noch am Freitagabend in einem Appell die Zivilbevölkerung zur Flucht aus dem Operationsgebiet aufgefordert. Ein Teil der Bevölkerung soll nach nicht offiziellen Angaben diesem Aufruf gefolgt sein. Am Samstag hatten die albanischen Rebellen das von Slawen bewohnte Dorf Koltuk beschossen und dabei vier Menschen verletzt.

Die Eskalation der Gewalt in Makedonien hat mit dieser Offensive der makedonischen Sicherheitskräfte ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Seit Tagen wurden laut inoffizieller Quellen die Polizeikräfte durch Regierungssoldaten verstärkt – wenn auch die Armee offiziell noch nicht an den Kämpfen beteiligt ist. Nachbarstaaten lieferten Waffen: So umfassen die – allerdings nicht supermodernen – Waffenlieferungen Bulgariens einen Umfang von 62 Millionen Mark. Die Ukraine entsandte sechs Kampfhubschrauber nebst Besatzung, Griechenland will drei Hubschrauber liefern.

Schrecken lösten unter der albanischen Bevölkerung Gerüchte aus, 100 Mann der berüchtigten Einheit des ehemaligen Milizenführers Arkan, der „Tiger“, seien aus Serbien kommend in Makedonien eingetroffen. Nach Augenzeugenberichten kann immerhin als sicher gelten, dass sich serbische Freiwillige den makedonischen Milizen, die aus Zivilisten gebildet wurden, angeschlossen haben. Die makedonischen Milizen griffen bisher in die Kämpfe nicht ein.

Inzwischen hat Deutschland sein Kontingent der KFOR-Friedenstruppe in Makedonien um 130 Artilleristen verstärkt und plant die Entsendung weiterer Soldaten. Der EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, der Spanier Javier Solana, sieht den Konflikt in Makedonien vorerst unter Kontrolle. Die Nato habe die Rebellen nicht unterstützt, erklärte er in einem Interview mit der Zeitung Die Welt. Der Konflikt müsse mit politischen Mitteln gelöst werden.

In Skopje jedoch scheint der politische Prozess ins Stocken geraten zu sein. Sprecher der in der Regierungskoalition befindlichen „Demokratischen Partei der Albaner“ beklagten sich wiederholt, die Partei sei aus dem Entscheidungsprozess der Regierung ausgeschlossen. Unterdessen mehren sich unter Diplomaten vor Ort Stimmen, die von der makedonischen Seite ernsthafte Verhandlungen mit den zivilen albanischen Repräsentanten fordern, um durch eine Verfassungsreform den Albanern Makedoniens entgegenzukommen und damit der UÇK das Wasser abzugraben.

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