todesstrafe
: Die freie Welt tötet weiter

Mary Robinson, die mutige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, bohrte kürzlich wieder in der Wunde: Beim weltweiten Kampf gegen die Todesstrafe müsse ein besonderes Augenmerk auf ein Ende der Hinrichtungen von Jugendlichen und geistig Behinderten gerichtet werden. Sie nannte kein bestimmtes Land, in dem so etwas geschieht, aber es gibt auf der ganzen Welt nur wenige. Die USA gehören weiterhin dazu.

Kommentarvon STEFAN SCHAAF

Nehmen wir den Fall von Antonio Richardson aus dem US-Bundesstaat Missouri. Als Sechzehnjähriger hatte er mit drei Freunden zwei Schwestern vergewaltigt und ermordet. Eine brutale Tat, gewiss, doch nicht einmal die Eltern der Mädchen wollten, dass er dafür hingerichtet wird. Einer der Gründe: Richardson ist so stark geistig behindert, dass er nicht einmal weiß, in welcher Stadt er lebt. Sein Pflichtverteidiger versäumte allerdings, dies dem Gericht gegenüber geltend zu machen. Als der Ankläger Richardson anbot, er müsse nicht sterben, wenn er geständig sei, begriff der Angeklagte diese Chance nicht und lehnte ab. Zwei Stunden, bevor Richardson auf die Todespritsche geschnallt wurde, stoppte der Supreme Court am 7. März die Strafvollzugsbehörden.

Ob dies bereits Richardsons Leben rettete oder nur einen Aufschub seiner Exekution brachte, wird sich zeigen. Er wäre der 700. Mensch gewesen, der in den USA seit Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 hingerichtet wurde. Inzwischen starben 702 Verurteilte, weil in den Vereinigten Staaten vor allem der Rachegedanke das Umgehen mit Straftätern leitet. Alle Kritik hat das System der Todesstrafe dabei nur leicht ins Wanken gebracht, denn es hat sich gegen Zweifel praktisch immunisiert. In über 20 Staatsparlamenten wurde in diesem Jahr beantragt, dem Beispiel von Illionis zu folgen und ein Moratorium für Hinrichtungen zu beschließen – überall wurde dies abgelehnt. Dabei ist erwiesen, dass die Todesstrafe Verbrechen nicht verhindert. Häufig trifft sie andere als die wahren Täter: Unschuldige, die arm und schwarz sind, sich ihr Recht nicht kaufen können und schlecht bezahlte, lustlose Provinzadvokaten als Pflichtverteiger zugeteilt bekommen, die Beweise verschludern und Termine verschlafen. Das passiert nicht nur in Staaten wie Texas oder Oklahoma, wo manche Tradition aus dem Wilden Westen überdauert haben mag, sondern auch im Bundesstaat Virginia, in unmittelbarer Nachbarschaft der Hauptstadt der freien Welt.

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