Mythos Klaus. Oder Johann

Störtebeker-Schau ersetzt die Legenden über den vermeintlichen Seeräuber durch einen düster-unverbindlichen Spielzeugkasten  ■ Von Petra Schellen

Wer Beleuchtung will, muss Licht machen. Und was haben sie nicht alles erhellen wollen, die Organisatoren der im Museum für Hamburgische Geschichte laufenden Störtebeker-Schau! Störtebekers rechtlichen Status hatten sie beleuchten wollen, wollten zeigen, dass er – so der Katalogtext – kein „gemeiner Seeräuber“, sondern wahrscheinlich einer jener Vitalienbrüder war, die im Auftrag von allerlei Fürsten im Ostseeraum plünderten und für die Hanse im Kampf gegen die Konkurrenz teils ernst zu nehmende Vertragspartner waren. Und dass die mutmaßlichen Vitalienbrüder – oder Likedeeler auf Platt – bei ihrer Gefangennahme wahrscheinlich Kaperbriefe dabeihatten und am 14. Oktober 1400 auf dem Grasbrook gar nicht hätten geköpft werden dürfen.

Schluss wollte Museumsleiter Jörgen Bracker machen mit dem Mythos Störtebeker, der seit 1700 nicht nur durch etliche Opern und Theaterstücke taumelt, sondern auch von den Nazis missbraucht wurde und bis heute in den Rügener Störtebeker-Festspielen zelebriert wird. Gar wenig wisse man nämlich über den Mann, weder über seine Vorfahren noch über seine Stützpunkte an Land. Ob er mit Vornamen Klaus hieß oder Johann, ist ebensowenig gesichert wie, ob er Steuermann von Gödeke Michel war oder umgekehrt, und gerade deshalb habe die Legende, sagt Bracker, so üppig wuchern können.

Gar übel wuchert in der realen Ausstellung allerdings das Dunkel, gar wenig deckt sich die Präsentation mit dem wissenschaftlichen Anspruch, den allenfalls das begleitende Katalogbuch einlöst. Die gewünschte Publikumswirkung scheint das Seeräuber-Thema allerdings zu erzielen, wuselte es am ersten Ausstellungswochenende dort doch fast so gewaltig wie auf dem Dom gleich nebenan.

Und was man da nicht alles sehen konnte: Die zwei echten Schädel vom Grasbrook zum Beispiel – wahrscheinlich nun doch die Häupter bedeutender Seeräuber aus der Zeit der Vitalienbrüder; gar schaurig daneben die extra auf Pfähle gestecken Schädelkopien. Teile eines Schiffsrumpfes sind ausgestellt, wohl Nachbildungen des bei Wittenbergen gefundenen Wracks – vermutlich das 1622 explodierte Schmugglerschiff des Peter Jansen. Speere, die gut und gern aus der Zeit um 1500 stammen können, prangen an der Wand, die – o Mythos! – vielleicht auch Störtebeker benutzt haben könnte. Überdies sind gar adrett auf klarem Granulat platzierte Koggennachbauten zu bewundern, die den Modellbauern eine reine Freude gewesen sein müssen.

Doch hinter all dem Gewese kann man nicht so recht das Konzept der Schau erkennen, die sich nicht entscheiden wollte, wovon sie erzählen soll: Von einem Mann, der zum Mythos wurde und über den wir immer noch nichts wissen? Hoffnungslos; das Nichts bietet keinen Stoff für eine Schau. Von dem Wittenbergener Wrack, das im Hamburger Hafen explodiert und dann elbabwärts getrieben sein soll? Wäre möglich im Rahmen einer „Schmuggel“-Ausstellung.

Oder von der Hamburger Konvoifahrt, von der Gründung der Admiralität zum Schutz der von Korsaren bedrohten Handelsschiffe? Möglich im Rahmen einer Hanse-Schau. Oder von Hamburger Stadtansichten um 1500, welche die Hinrichtungsstätte auf dem Grasbrook zeigen, wovon man in der fledermaushaften Düsternis des Museums allerdings nicht viel sieht. Sicher, „Geld zurück“-Rufe klangen nur vereinzelt aus der sonntäglichen Besucherschar, Beschwerden waren kaum möglich, da auch das Aufsichtspersonal dunkel gewandet war.

Da versuchte man lieber, die Beschriftungen zu lesen – mit oft enttäuschendem Resultat: „Im Kampf auf der Elbe verloren – Schwerter, 13.-15. Jahrhundert“ steht da zum Beispiel geschrieben; „Unterwasserfund aus der Ostsee“ an anderer Stelle. Allein der Sinn solcher Präsentationen, gar der Zusammenhang mit anderen Exponaten erschließt sich oft nicht.

Warum dies alles so ist? Vielleicht, weil man den Zuschauern einfach einen unverbindlich bunten Spielzeugkasten zeigen wollte. Vielleicht auch, weil die Macher ihren eigenen Gelüsten, nochmal so richtig Geisterbahn zu spielen, nicht hatten widerstehen können. Wahrscheinlich sogar Letzteres. Wie wäre sonst zu erklären, dass an einer der Wände eine seeräuberwilde, per Video projizierte Gischt wogt, die einen kopfüber in den – angeblich zu widerlegenden – Störtebeker-Mythos stürzt?

Gottes Freund – aller Welt Feind – Von Seeraub und Konvoifahrt – Störtebeker und die Folgen, Museum für Hamburgische Geschichte, bis 8. September, Katalog 30 Mark.