Sex zwischen Tanke und Altbauwohnung

So klein, so schön kitschig: In den Filmen „Zurück auf Los“ und „Chill out“ ist Berlin schwules Idyll und heterosexuelle Seelengemeinschaft zugleich

von PAMELA JAHN

Das Tolle an Berlin-Filmen ist, dass sich der mehr oder weniger lokalpatriotisch veranlagte Kinogänger bei mäßigem Plot doch zumindest an der Kulisse erfreuen kann. Besser noch, wenn sich damit gleichzeitig der subjektive Großstadthorizont erweitern lässt. Aus diesem Blickwinkel scheint der deutsche Film dann auch fast immer sehenswert: Während Produktionen wie „Alaska.de“ eher die tristen Berliner Plattenbausiedlungen durchforsten, stürzen sich andere Filmemacher gerne auf den romantisch-bröckeligen Ost-Kiez mit seinen maroden Altbauten, liebevoll begrünten Balkonen und holprigen Straßen. So waren im „Panorama“ der letztjährigen Berlinale geich zwei Filme zu sehen, die in Prenzlauer Berg spielen und nun auch beide im Kino anlaufen.

Mit „Zurück auf los“ hat sich Regisseur Pierre Sanoussi-Bliss, besser bekannt als der Assistent des „Alten“, einen Traum erfüllt. Und ist dabei gleichzeitig ein großes Risiko eingegangen: Sein Name steht nicht nur für Buch und Regie, auch die Hauptrolle des Sam hat er sich selbst gegeben. Und sein Film beweist, dass solche Allmacht nicht automatisch im Desaster enden muss.

Sam ist ein waschechter Ossi, schwarz, schwul und HIV-positiv. Nach seiner Trennung von Manne (Bart Klein), einem belgischen Bauarbeiter, verliebt er sich kurzerhand in den smarten Krankenpfleger Rainer (Dieter Bach) und zieht mit seinem besten, ebenfalls schwulen Freund Bastl (Matthias Freihof) zusammen. Aber damit nicht genug. Sam hat sich nämlich in den Kopf gesetzt, eine CD mit seinen DDR-Lieblingsliedern neu aufzunehmen. Was einige kitschig-schnulzige Showeinlagen mit sich bringt.

„Zurück auf Los“ ist ein skurriler Schwulen-Reigen, der sich in einer kuscheligen Altbauwohnungswelt abspielt, mit Kiezromantik, Stammkneipe, Berliner Prolls und Hundescheiße auf dem Gehweg. Selten wirkte Berlin im Film so klein, superkitschig und zugleich unheimlich sympathisch. Gleichzeitig geht es in dieser dramaturgischen Gratwanderung auch um ein Leben mit Aids, Behinderung und Rassismus. Da tigert Rainer, der durch einen Autounfall erblindet ist, hilflos duch die noch unbewohnten Zimmer der gemeinsamen Schwulen-WG, da witzelt Sam selbstironisch über seine Krankheit. Fast ist man ein wenig verstört über die heitere, unbeschwerte Zuneigung, die man für die Figuren und ihre Probleme entwickelt.

Andreas Strucks „Chill Out“ hingegen ist ein kleines, modernes Kammerspiel. Wichtigster Schauplatz ist auch hier eine Altbauwohnung in Prenzlauer Berg. Dort lebt Anna (Tatjana Blacher), Erben-Ermittlerin, zusammen mit dem schwulen Johann (Sebastian Blomberg), der von den Kreditkarten lebt, die er seinen Freiern während des Sex abnimmt. Die beiden haben sich auf der Straße kennen gelernt, und Anna hat ihn kurz darauf bei sich einziehen lassen.

Als zwischengeschlechtliche Verbindung kommt schließlich Max (Barnaby Metshurat) ins Spiel, mit dem erst Anna ins Bett geht und dann Johann. Aber langfristig kann der Grünschnabel die tiefe Seelengemeinschaft, der beiden nicht stören – eine irgendwie groteske, distanziert-innige Freundschaft in einem Berlin, dass von Millionen einsamer Menschen bewohnt scheint. Sex erscheint in diesem Film als etwas, das man zwar braucht, sich aber eher nebenbei und unbeschwert in der Tankstelle, im Stadtarchiv oder an der Bar besorgt. – Vielleicht stehen „Chill out“ und „Zurück auf Los“ für Berlin. Vielleicht auch nur für sich selbst. Aber da stehen sie gut.

„Zurück auf Los“, Regie: Pierre Sanoussi-Bliss, Deutschland 1999, 92 Min. Ab 22. März im Filmtheater am Friedrichshain. „Chill out“. Regie: Andreas Struck. Deutschland 1999, 87 Min. Ab 29. März im Xenon