press-schlag
: Taugt Oliver Bierhoff zum Bundesbindenträger?

Kapitän auf sinkendem Schiff

Schuld an allem soll plötzlich jenes Stückchen Stoff sein, das gemeinhin und durchaus ehrfurchtsvoll Kapitänsbinde genannt wird. Es ist schwarz-rot-gelb (wobei gelb eigentlich gold sein sollte), lässt sich leicht um den Arm wickeln – und ist ganz offenbar schwer zu tragen. Auf jeden Fall zu schwer – für Oliver Bierhoff. Findet zumindest Franz Beckenbauer. Der war einst selbst Kapitänsbindenträger und muss es also wissen, auch wenn der ganze Kram, den der als „Kaiser“ Verehrte gemeinhin und fortwährend so absondert, kaum den Eindruck erweckt, Beckenbauer wisse überhaupt etwas. Aber das ist im Fußball nicht so wichtig, sondern allein als bedeutend eingestuft werden muss, dass der ehemalige Bundesbindenträger Beckenbauer gerade eben messerscharf erkannt hat, für den aktuellen Bundesbindenträger Bierhoff scheine „die Last nun doch zu schwer zu werden“, jene der Kapitänsbinde nämlich. Beckenbauer selbst hatte mit dieser Last natürlich nie schwer zu tragen, was wiederum damit zu tun haben dürfte, dass er ganz anders gestrickt ist als Bierhoff – und offenbar beinahe so einfach wie die Kapitänsbundesbinde selbst. (Was deren Tragen prinzipiell ungemein zu erleichtern scheint, wie die weiteren Beispiele Uwe Seeler und Lothar Matthäus beweisen.)

Aber das soll hier nicht davon ablenken, dass da gerade eine Diskussion entbrannt ist, die reichlich absurd wirkt. Die Frage, ob Bierhoff die Bundesbinde tragen soll oder nicht, stellt sich nicht. Die Frage ist vielmehr, ob Bierhoff, der bei seinem Verein in Mailand zuletzt meist auf der Bank saß, überhaupt spielen sollte. Stürmer, die von ihren Kollegen angeschossen werden müssen, um ins Tor zu treffen, sind nämlich eigentlich von gestern; entsprechend wirkte Bierhoff, bevor er beim mühsamen 2:1 gegen Albanien bereits in der Pause ausgewechselt wurde, „wie ein Fossil aus der Vorzeit des Fußballs“ (SZ).

Aber das ist derzeit kaum nur eine Zustandsbeschreibung, die Bierhoff exklusiv für sich in Anspruch nehmen muss, sondern trifft längst den gesamten Fußball hier zu Lande, Nationalmannschaft inbegriffen. So schnell wie gedacht lassen sich die offensichtlichen Mängel jedenfalls nicht beheben, auch mit Rudi als Teamchef nicht, dafür wurden die Dinge zu lange schöngefärbt. Und gar nicht erst auszudenken, wie alles gekommen wäre, wenn Bierhoff gegen Albanien in Minute drei ins Tor getroffen hätte und nicht daneben, was eine viel größere Kunst war. Dann hätte vielleicht sogar Beckenbauer den Kapitän gelobt – und nicht hinweggewünscht vom sinkenden Schiff. FRANK KETTERER