Das rote Wien ist wieder intakt

Bei der Landtagswahl in Wien gewinnen die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit der Mandate, die Grünen steigern sich um die Hälfte, die rechtspopulistische FPÖ stürzt jäh ab und dürfte künftig auf Bundesebene für verstärkte Turbulenzen sorgen

aus Wien RALF LEONHARD

Der verregnete Rathausplatz war voll jubelnder Parteigänger, als Wiens sozialdemokratischer Bürgermeister Michael Häupl gegen 22 Uhr auf den Balkon trat. Vor einem Meer roter Schirme bedankte er sich bei seinen Wählern für den unerwartet hohen Vertrauensbeweis. Die absolute Mandatsmehrheit, die er vor fünf Jahren verlor, hat er jetzt wieder. Dank der Großparteien begünstigenden Wahlarithmetik bekommt die SPÖ für ihre 46,8 Prozent Wählerstimmen 52 der 100 Mandate im Stadtrat, der auch als Landtag des Bundeslandes Wien fungiert.

Der gelernte Biologe Häupl (51) braucht also keine Koalitionspartner. Dennoch halte er eine verbindliche Art der Regierungsarbeit für erstrebenswert. Er will mit allen anderen Parteien über mögliche Formen einer Zusammenarbeit sprechen. Mit der FPÖ, die mit einem Verlust von über 7 Prozentpunkten und 8 Mandaten die schlimmste Niederlage ihrer jüngeren Geschichte erlebte, hatte Häupl schon vorher jede Allianz ausgeschlossen.

Der bisherige Vizebürgermeister Bernhard Görg von der konservativen ÖVP will in die Opposition. Wegen des nur bescheidenen Ergebnisses – ein Plus von nur 1,1 Prozent gegenüber dem historischen Tiefststand von 1996 mit 15,26 Prozent – wird er sich wahrscheinlich ganz aus der Stadtpolitik zurückziehen.

Auch der grüne Spitzenkandidat Christoph Chorherr, der die Trommel für ein rot-grünes Experiment gerührt hatte, will weder für den Posten des Umweltstadtrats noch für eine Koalition mit der SPÖ zur Verfügung stehen. Die Grünen, gestärkt durch ein 50-prozentiges Wachstum (12,45 statt 7,94 Prozent), wollen sich nicht als umweltpolitischer Aufputz für eine Regierung missbrauchen lassen, die keine Kompromisse eingehen muss.

Das rote Wien, das seit 1922 mit Ausnahme des Ständestaats der 30er-Jahre und der Nazizeit ununterbrochen von Sozialdemokraten regiert wurde, scheint wieder intakt. Wahlanalysen zeigen, dass die 1996 scharenweise zur FPÖ übergelaufenen Arbeiter in den Schoß der Sozialdemokraten zurückkehrt sind. Die Pensionäre, die durch Rentenreform und Einführung von Ambulanzgebühren durch die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung verunsichert wurden, stimmten zu 58 Prozent rot. Die Jungwähler wählten zu 24 Prozent grün.

Alle Hoffnungen der FPÖ, erstmals einen Bezirksvorsteher zu stellen, platzten. In den Arbeiterbezirken verlor die Partei deutlich. Und selbst in Fünfhaus, dem Bezirk mit dem höchsten Ausländeranteil, ging die Saat der Angstparolen nicht auf: Die FPÖ verlor hier 10 Punkte.

Einen Bezirksvorsteher stellen können hingegen die Grünen. Sie übertrafen im 7. Bezirk die SPÖ um wenige Stimmen. Der 44-jährige Volkswirt und Trafikant (Trafik ist ein Tabak-, Papier- und Zeitungsgeschäft) Thomas Blimlinger setzt sich für billige Tiefgaragen ein, die in dem engen Innenstadtbezirk mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer schaffen sollen. Dank ihres zweistelligen Ergebnisses werden die Grünen erstmals einen Abgeordneten in den Bundesrat, die Länderkammer des Parlaments, entsenden.

Für die Bundesregierung ist der Triumph von Rot und Grün bitter. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer versuchten, die Bedeutung der Regionalwahlen herunterspielten. Riess-Passer: „Wir müssen die Informationsarbeit verbessern und aktiv die Rolle der FPÖ darstellen.“ SPÖ-Oppositionsführer Alfred Gusenbauer sieht die Sache natürlich anders. Für ihn ist Jörg Haider nach der Wahl „entzaubert“. Die schwere Schlappe trotz des massiven Einsatzes des Wahlhelfers aus Kärnten beweist, dass das Charisma des Volkstribunen nicht mehr zieht. Der Politologe Fritz Plasser prognostiziert Turbulenzen für die Koalition: „Das wird von Jörg Haider ausgehen.“

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