Test the Protest

Während die Polizei die Castor-Proteste klein zu reden versucht, laufen die ersten Blockaden und Aktionen im Wendland erfolgreich an

WENDLAND/HANNOVER taz ■ „Sie sind drauf! Sie sind drauf!“ – so freute sich gestern mittag das halbe Dutzend junger Frauen und Männer, das in dem Anti-Castor-Camp bei Wendisch Evern quasi die Nachhut bildete. Von dem Camp der Aktion „X-tausendmal quer“ aus, das eigentlich nur eine Infostelle sein soll, waren eine knappe Stunde über fünfhundert AKW-GegnerInnen zur etwa einen Kilometer entfernten Bahnstrecke von Lüneburg nach Dannenberg aufgebrochen.

Die wurde zwar eigentlich von Polizei und auch dem Grenzschutz gut bewacht. Doch die gewaltfreien Blockierer schlugen schnell einen Bogen um das kleine, kurz hinter Lüneburg gelegene Wendisch Evern und stießen dort auf die Gleise vor, wo nur noch alle 50 Meter ein Polizeiposten stand. Nach Angaben der Presstelle von „X-tausendmal quer“ wuchs die Zahl der Blockierer sehr schnell an, so dass bald rund tausend Frauen und Männer in wetterfester Kleidung, wie grünem Parka oder gelbem Ostfriesennerz, vor der Eisenbahnbrücke über den Elbe-Seitenkanal auf der Castor-Strecke saßen. „Wir haben uns aufgefächert. Und so die Polizei überrumpelt“, sagt Günter Metzges vom Camp Wendisch Evern gegenüber der taz. Am Nachmittag begann dann die Polizei die Atomkraftgegner vor Ort langsam einzukesseln.

Wäre es allerdings nur nach dem Chef des Castor-Polizeieinsatzes, dem leitenden Polizeidirektor Hans Reime, gegangen so hätte es weder ein Camp bei Wendisch Evern, geschweige denn dort über 500 gewaltfreie Aktivisten geben dürfen. Schließlich hatte die Bezirksregierung Lüneburg das Camp verboten und am Ende vor der auf einem Hügel gelegenen Ortschaft nur eine Infostelle genehmigt. Und Einsatzleiter Reime hatte noch am Montagmorgen hervorgehoben, dass gerade in Wendisch Evern dass Protestpotential erheblich hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei und sich dort nur 150 Castor-Gegner versammelt hätten.

Die in Bezugsgruppen organisierten gewaltfreien Castor-Gegner hatte sich aber trotz des Verbots zu helfen gewusst. An der Infostelle selbst übernachteten unter freiem Himmel zwischen Heuballen nur rund 70 AKW-Gegner. Fünfhundert andere fanden in zwei Lüneburger Kirchen ihr Quartier. Und als der Einsatzleiter auf einer Pressekonferenz in der Lüneburger Bezirksregierung den Widerstand gegen den vierten Castor-Transport nach Gorleben noch klein redete, hatten sich in dem nur sieben Kilometer entfernten Camp bereits die Sprecher der Bezugsgruppen auf die Besetzungsaktion verständigt.

Nach Angaben von Reime sollen am Wochenende nur rund 1.000 AKW-Gegner in die Region zwischen Lüneburg und Gorleben gereist sein. Nach Angaben des Sprechers der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg übernachteten in den verbliebenen Camps und den Ausweichquartieren, wie Turnhallen oder eben Kirchen, rund 2.500 „auswärtige“ Castor-Gegner. Die kaum abschätzbare Zahl derjenigen, die sich privat bei Bekannten in der näheren Umgebung einquartiert hätten, sei dabei noch nicht einmal mitgezählt.

Im Camp Nahrendorf stellte sich am Nachmittag Rainer Ott mit einem Megafon vor etwa 200 AKW-Gegner: „Es ist ein paar Leuten bei Leitstade gelungen, die Schiene mit Wagenhebern auszuhebeln. 300 Meter Strecke sind unbrauchbar.“ Die Menge jubelte frenetisch. Die eigene Aktion des Camps am Mittag war nicht so erfolgreich verlaufen. Etwa 150 Demonstranten waren zur genehmigten Mahnwache aufgebrochen, aber nicht angekommen – schon kurz hinter dem Camp wurden sie von der Polizei eingekesselt und nach dem Gefahrenabwehrgesetz vorübergehend festgenommen. Polizeisprecher Detlev Kaldinski erklärte dazu: „Es war eine ungenehmigte Versammlung in Form eines Aufzugs. Die Teilnehmer waren zum Teil vermummt. Wir haben etwa 200 Demonstranten vorerst in Gewahrsam genommen.“

JÜRGEN VOGES, NICK REIMER