In welchem Stil wir bauen

In die Leere des Modellraums inszenierte Realität: Die Galerie Bodo Niemann zeigt Fotoarbeiten von Christine Erhard

Die Oberflächen der Fotografien von Christine Erhard sind makellos. Belanglose Titel wie „Die Sitzgruppe“ oder „Die Wandgestaltung“ verbergen nichts Großartiges: Eingangshallen und Ausstellungsräume, die einem überall begegnen. Dabei handelt es sich jedoch um echte Bilder simulierter Räume – sowohl was die Vorlagen als auch was das Foto selbst betrifft, denn die dargestellten Situationen sind Ablichtungen von tatsächlich gebauten Modellen.

Mit Akribie hat die Künstlerin aus ihrem Motivschatz etwa für „Foyer“ ein mit Fotos von Bodenbelägen, Kugelleuchten, Vegetation und einer Marmorwand bestücktes Modell hergestellt und zur Spiegelung eine Glasscheibe eingefügt. Das fotografische Ergebnis ist eine Allerweltsecke, die ästhetisch den Ablichtungen realer Räume der als Inspiratorin genannten Candida Höfer nahe kommen. Die modellhafte Konstruktion bleibt jedoch an dem spiegelnden Teppich und dem wie eine Fototapete wirkenden Blick ins Grüne sichtbar.

Die Arbeit mit einem gesammelten Motivschatz ist von historistischen Architekten um die Jahrhundertwende bekannt. „Auf diesem Material spielte er wie auf einer Klaviatur“, schrieb Fritz Schumacher über seinen Münchner Lehrer Gabriel von Seidl, „und so konnte er bei allem, was er zeichnete und anordnete, sofort irgendein Bildchen auftauchen lassen“. Gegen den nahe liegenden Verdacht der platten Übernahme von Schumachers „In welchem Stil wollen wir bauen“ steht Erhards kritischer Umgang mit ihren aus Texturen, Schnappschüssen oder Images gewonnenen Material.

Da ist etwa „Die Wandgestaltung“, an der die Sessel irritieren, denen eine Bodenhaftung zu fehlen scheint. Und ihre „Sitzecke“ erscheint wie eine Überlagerung der Staffagen, Möbel und Menschen. Diese visuellen Spuren der Rekonstruktion sind nicht durch nachträgliche Bearbeitung der Fotografien entstanden, in ihnen werden vielmehr die Anfänge der an der Kunstakademie Düsseldorf ausgebildeten Künstlerin in der Bildhauerei sichtbar: Das Modell, das etwa im Maßstab 1:10 gebaut wird, ist die handwerkliche Voraussetzung für das Bild, dessen Größe im Verhältnis 1:1 zum Modell steht.

Wird man bei Computerbildern vielleicht noch mit Rubbel-und-Riech-Plätzchen wie bei einem John-Waters-Film versuchen, die Distanz zur Realität weiter zu verwischen, entzieht Erhard die Modelle bewusst Zeit und Raum. Durch die Vereinigung verschiedener Bildwirklichkeiten in einer gemeinsamen Oberfläche verweigert die Künstlerin den eindeutigen Bezugsrahmen und unterstreicht überzeugend sachlich die strukturelle Anonymität der Moderne. Anders als etwa bei den abstrakten Modellen von Thomas Demand finden sich in ihren Konstruktionen durch die „vor-Bildlichen“ Versatzstücke jedoch bekannte Alltäglichkeiten wieder. Am Ende bleibt eine in die Leere des Modellraumes inszenierte Realität. MICHAEL KASISKE

Bis 12. Mai, Mi.–Fr., 13–18 Uhr, Sa. 12– 18 Uhr, Auguststraße 19, Mitte