Wie sichert man die Konjunktur?

von KATHARINA KOUFEN

 1. Verschaffen Sie sich ein Bild vom Ernst der Lage: In den USA ist der Boom zu Ende, die Wirtschaft ist in den letzten Monaten 2000 nur noch um 1,1 Prozent gewachsen – am Jahresanfang waren es noch 4,8 Prozent. Für das erste Quartal dieses Jahres pendeln die Prognosen sogar nur zwischen einem „halben Prozent plus“ und einem „halben Prozent minus“. Pech für die Amerikaner, vor allem für die Kleinaktionäre, die sich auf Pump Aktien gekauft haben und jetzt tief in den Miesen stecken. Aber Achtung: Der Wirtschaftsboom in Deutschland und in den anderen Euro-Ländern hatte nur bedingt mit guter Politik zu tun. Er war vor allem dem glücklichen Zusammentreffen des Konsumrausches der Amerikaner mit dem billigen Euro zu verdanken. Die Europäer produzierten und exportierten, die Amerikaner importierten und konsumierten. Mehr als 10 Prozent der deutschen Exporte wurden im letzten Jahr in die USA geschippert, dem zweitwichtigsten Abnehmerland hinter Frankreich. Im Gegenzug flossen umgerechnet 120 Milliarden Mark zurück nach Deutschland. Gegenüber 1999 ist das eine Steigerung von 20 Prozent. Doch wenn in den USA bald keiner mehr Geld hat, neue Autos zu kaufen, dann schmeißen womöglich hier Firmen wie Daimler oder BMW Leute raus. In Japan nimmt man übrigens längst offen das R-Wort in den Mund, das für Berufsoptimisten eigentlich tabu ist. REZESSION! Einen EZBänker rührt das nicht: Sprechen Sie – um niemand zu erschrecken – allenfalls von einer „leichten Abkühlung der Konjunktur“. Japan ist für die EU ohnehin erst mal nicht so wichtig, denn dort landeten letztes Jahr nur etwa 2 Prozent unserer Exporte.

 2. Studieren Sie die Prognosen der Wirtschaftsexperten. Sie werden fast überall auf die Meinung stoßen: Das Wachstum in Deutschland und in der gesamten Eurozone verlangsamt sich. Die meisten Konjunkturexperten prognostizieren für Deutschland ein Wachstum zwischen 2,1 und 2,4 Prozent – nach 3 Prozent im letzten Jahr. Das Deutsche Institut für Wirschaftsforschung (DIW) schätzt 2,1 Prozent, die Dresdner Bank sieht die Zukunft rosiger und sagt ein Wirtschaftswachstum von zweieinhalb Prozent voraus. Nur die Bundesregierung ist noch optimistischer: Man rechne mit „2 [3]/4“ Prozent Wirtschaftswachstum, verkündete Finanzminister Hans Eichel kürzlich. Das bedeute: „irgendwo zwischen 2,6 und 2,8 Prozent“. Wobei er selbst wohl eher an 2,6 oder weniger glaubt, der Kanzler aber allseits gute Stimmung verordnet hat. Für die Eurozone insgesamt geht die Dresdner Bank von 3 Prozent aus. Die Europäische Zentralbank hingegen rechnet nur mit 2 bis 2,5 Prozent Wachstum.

3. Folgern Sie nun, dass die Zinsen in der Eurozone ruhig etwas niedriger sein könnten. Schließlich haben die USA ihre Zinsen in diesem Jahr schon dreimal gesenkt. Anfang des Jahres lagen sie noch bei 6,5 Prozent, jetzt zahlt man nur noch 5 Prozent. Etwa 30 Zentralbanken haben ihre Zinsen in letzter Zeit verringert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW hat die EZB bereits kritisiert: Hätten Sie die Zinsen schon gesenkt, hätten Sie die drohende Flaute vielleicht rechtzeitig abgewendet. Nun sei es zu spät! Warum also zögern Sie noch länger? Sie haben immer noch Angst, sinkende Zinsen beschleunigen die Inflation? Die Inflationsrate in der Eurozone liegt bei 2,6, also deutlich über der von der EZB anvisierten Höchstgrenze von 2 Prozent? Vergessen Sie es! Die „drohende Inflation“, bis jetzt Ihr Hauptargument für höhere Zinsen, ist Schnee von gestern. Denn dahinter steckt doch der Glaube: Die Preise steigen dann, wenn die Menschen so viel kaufen möchten, dass die Unternehmen gar nicht mehr mit der Produktion hinterherkommen. Diese „Gefahr“, wie Sie es nennen, bestand vielleicht bis vor einigen Monaten in den USA. Dort hatten Wirtschafts- und Börsenboom eine Konsumwelle ausgelöst. Jetzt sieht die Lage aber ganz anders aus.

4. Schieben Sie Ihre Inflationsängste doch auf die hohen Rohölpreise! Die Preise stiegen im letzten Jahr vor allem wegen des teureren Rohöls. Sie hätten diese „importierte“ Teuerung übrigens auch schon letztes Jahr rausrechnen können, weil sie nichts mit einer falschen Geldpolitik der EZB zu tun hatte oder mit einer zu rasanten Steigerung der Nachfrage in den Euroländern. Oder springen Sie doch mal über Ihren eigenen Schatten und geben Sie zu, dass das Inflationsziel von 2 Prozent ohnehin sehr restriktiv ist! Es gibt durchaus Wissenschaftler, die auch 3 oder 4 Prozent Inflation für unbedenklich halten, ja sogar begrüßen, weil sie die Konjunktur belebt. Nehmen Sie es angesichts der drohenden Wirtschaftsflaute nicht mehr so genau mit Ihren Prinzipien von gestern. Ändern Sie die Rhetorik.

5. Sind die Zinsen gesenkt, hoffen Sie, dass die Aktienkurse steigen. Denn jetzt werden die Menschen ihr Geld weniger auf Sparbüchern und anderen verzinslichen Papieren anhäufen, sondern es in Aktien stecken. Hoffen Sie, dass die Menschen Häuser bauen und Autos kaufen, weil sie glauben, die höheren Aktienkurse bedeuten automatisch mehr Geld. Was nur theoretisch stimmt: Wenn alle ihre Aktien nach dem Kursanstieg verkaufen, fallen die Kurse wieder – und nur die ganz Schnellen nehmen Gewinne mit.

6. Hoffen Sie auf mehr Investitionen. Weil nun die Bankkredite billiger werden, könnten Unternehmer mehr Geld in neue Anlagen stecken oder ihren Fuhrpark vergrößern. Hoffen Sie dass dadurch mehr Baufirmen und Autohersteller Arbeit bekommen, und alle anderen auch, weil die Bauarbeiter das Geld, das sie verdienen, ja auch wieder irgendwo ausgeben müssen.

7. Hoffen Sie – insgeheim – darauf, dass der Eurokurs sinkt, weil nun mehr Menschen ihr Geld in Dollar-Papiere stecken, die besser verzinst werden. Das würde Ihrer Wirtschaft nur gut tun: Ein schwacher Euro könnte die Amerikaner eher animieren, trotz der schlechten Wirtschaftsaussichten Autos oder Fernseher aus Europa einzuführen. Aber äußern Sie diese Hoffnung nicht laut, offziell setzten Sie sich weiterhin für einen starken Euro ein. Schließlich darf der Euro auch nicht zu stark fallen – irgendwann würden dann die Nachteile überwiegen: Teure Dollarimporte könnten die Preise steigen lassen – und dann wären Sie doch wieder gezwungen, die Zinsen anzuheben!

8. Halt! Bevor Sie die Zinsen senken, denken Sie sich schon mal eine Erklärung aus, für den Fall, dass sich Ihre Hoffnungen nicht erfüllen. Für die Börse ist das einfach: Entweder machen Sie das, was die meisten „Analysten“ und „Händler“ täglich tun: Orakeln Sie in der Gegend herum, faseln Sie von „Gewinnmitnahmen“ und „zurückhaltenden Aktienmärkten“. Oder Sie geben die Schuld irgendwelchen Unternehmen an der Börse, die just zur Zinssenkung schlechte Ergebnisse veröffentlichen müssen – weshalb die Aktienkurse dann trotz Zinssenkung fallen. Oder Sie behaupten, „die Märkte“ hätten mit einer stärkeren Zinssenkung gerechnet, wie es letzte Woche der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan tat.

9. Vorsicht: Wirtschaft ist Psychologie! Keinesfalls sollten Sie darauf aufmerksam machen, dass sich die gut informierten Händler und Unternehmer über die langfristigen Konjunkturaussichten schon eine ganze Weile Sorgen machen – und für sie ein kleiner Zinsschritt kein Grund zur Kreditaufnahme oder zum Aktienkauf ist. Denn mal ehrlich: Wer steckt sein Geld in Aktien, wenn er nicht weiß, ob die Firma nicht schon im nächsten Monat kurz vor der Pleite steht? Wer nimmt einen Baukredit auf, wenn er um seinen Arbeitsplatz fürchtet? Welcher Unternehmer leiht sich Geld, wenn er sich nicht sicher ist, ob er in einem Jahr überhaupt noch Aufträge hat?

10. Zum Schluss noch eine Warnung: Das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung hat ermittelt, dass die meisten Geschäftleute deutlich pessimistischer in die Zukunft blicken als noch vor einem Jahr. Allein im letzten Monat sei die Konjunktureinschätzung „drastisch“ gesunken. Solche Studien dürfen keinesfalls publik werden. Lassen Sie sich etwas einfallen! Setzten Sie sich mit der zuständigen Behörde in Verbindung und veranlassen Sie, dass das Institut wegen des Ausbruchs der Maul- und Klauenseuche geschlossen wird!