Total überdrehte Neurosenneureiche

■ Bösigkeiten, die im Raum stehenbleiben: Harold Pinters „Celebration“ im Thalia Gaußstraße

In Zeiten von Börsenboom und florierenden illegalen Geschäften haben manche Leute immer etwas zu feiern. Aber alles Geld der Welt bewahrt auch sie nicht vor der großen Leere der Ehekrise. So auch in der deutschsprachigen Erstaufführung von Harold Pinters Celebration, das in der Regie von Stephan Kimmig im Thalia in der Gaußstraße Premiere feierte.

Lambert (Jörg Lichtenstein) und Julie (Susanne Wolff) begehen ihren Hochzeitstag. Gemeinsam mit dem Paar Matt (Norman Hacker) und Prue (Anna Steffens) – Bruder des Ehemanns, beziehungsweise Schwester der Ehefrau – kehren sie im teuersten Esstempel der Stadt ein. Nach außen scheint alles glamourös. Sie „knallen sich die Birne zu“, denn die beiden Jungs, die sich „Strategieberater“ nennen, haben in diesem Jahr ordentlich Geld gescheffelt. Dass dies durch Waffenhandel geschah, interessiert niemanden.

Kratzer erhält die Fassade, als Julie ihre Sonnenbrille aufbehält und nervös an ihrer Zigarette zieht, und man ahnt, dass das mit ihrem gelgelackten Gatten zusammenhängen muss. Der scheut sich nicht, von der großen Liebe seines Lebens zu erzählen. „War das nicht ich, Liebling?“, fragt Julie unsicher. Darauf Lambert: „Wer? Sie? Nein, nicht sie.“ Sie beleidigen sich, demütigen sich, streuen Bosheiten, die im Raum stehenbleiben. Selbst, als vom Nachbartisch ein weiteres Neureichenpaar, der gefühlskalte Russell (Stephan Schad) und die dümmliche Suki zu ihnen stoßen, reißt die Fassade nicht ein. Suki (herrlich überdreht: Judith Rosmair) ist eine echte Schlampe, die sich mit Vorliebe hinter Hängeregistraturen von triebgeplagten Kollegen bumsen lässt. Dem Gruselkabinett des Lebens scheint auch das bedienende Personal entsprungen, Restaurantbesitzer Richard beschwört den Geist der Gewürzgurke, die kalte Kellnerin Sonia (Maren Eggert) bricht zusammen, sobald ihr jemand zu nahe tritt, und der Ober tischt ständig die berühmten Bekanntschaften seines Großvaters auf.

Harold Pinter zeigt sich einmal mehr als Altmeister des bösen Witzes, der angedeuteten Handlung. In seiner subtilen Gesellschaftskritik darf jeder alles – sofern er es sich leisten kann. Die Paare befehden sich in dekadenter Langeweile, Änderung oder gar Läuterung ist nicht in Sicht, denn nur das Materielle zählt. Die Figuren leben in einem Vakuum, in dem der Unterschied zwischen Gut und Böse aufgehoben ist. Regisseur Stephan Kimmig muss bei diesem vergnüglichen Kammerspiel kaum eingreifen, die Szenerie lebt von den Figuren, denen das Ensemble mit großer Spielfreude Leben einhaucht. Für eine bleibende Nachdenklichkeit erzählt der Abend zwar zu wenig Neues, aber er liefert ordentliche Unterhaltung. Annette Stiekele

nächste Vorstellungen: 1. 7., 8. April, 20 Uhr, Thalia Gaußstraße