„Vier Stück Frauen – insgesamt“

■ Menschenhandel vor Gericht: Zahlreiche litauische Frauen sind an unzähligen Orten in Bremen zur Prostitution gezwungen worden. Der Prozess gegen ihre Peiniger wird Monate dauern

Es gibt Gerichtsverhandlungen – danach sieht man die Stadt mit anderen Augen. Kattenturmer Heerstraße, Jacobistraße, Ohmstraße, Am Wall, Rembertiring, Thedinghauser Straße, Löningstraße und im Umland: Worpswede, Brinkum, Bassum. Alles Adressen von Bordells und sogenannten Modellwohnungen. Alles Leidensstationen litauischer Frauen, die von Schleppern hierher gebracht und zur Prostitution an Bremer Männern gezwungen wurden.

Jeder kennt die Orte. Und jeder hat schon durch die Zeitungen geblättert, in denen „die Mädchen“ inseriert wurden. Weserkurier. Weser-Report. Morgenpost. Im Sommer 1994 stand da vielleicht auch „Mascha, neu, blutjung“ oder „Jolante, klein und zart“. Mascha und Jolante haben Monate als Sklavinnen gearbeitet, bevor sie ihre Peiniger anzeigen konnten. Gestern begann der Prozess gegen vier ihrer mutmaßlichen Zuhälter, Händler und deren Helfershelfer. Personen, die von den Vergewaltigungen wussten (was strafbar wäre) oder nichts davon wissen wollten (was nicht strafbar wäre).

„Haben Sie den Mädchen die Pässe abgenommen?“, wendet sich der Richter an die Angeklagte Gudrun I. Im Lauf der Verhandlung bürgert sich die Rede von „den Mädchen“ ein. Nach deren Aussagen – sie liegen dem Gericht schriftlich vor – hat man ihnen die Ausweise weggenommen, um zu verhindern, dass sie sich „allzu frei“ in Bremen bewegen oder gar flüchten. „Nein“, sagt die Befragte, den Pass, den die Polizei bei der Durchsuchung ihrer Wohnung gefunden hat, habe ihr eines der Mädchen „zum Kopieren“ gegeben. Aus den Schilderungen „der Mädchen§ geht noch Schlimmeres hervor: Wer sich weigerte zu arbeiten, wurde weiterverkauft oder bedroht. Die Familie in Litauen könnte misshandelt werden. Danach haben die Frauen, die jüngste war damals 18, kapituliert.

Mindestens zwei der Opfer, von denen gestern im Prozess die Rede war, hatten vor ihrer Abreise aus Osteuropa geglaubt, in einem deutschen Haushalt arbeiten zu können. Haben sie dann ja auch – irgendwie. Die Angeklagte Gudrun I. beispielsweise hatte für ihren Freund und Zuhälter, für den Vater zweier ihrer Kinder, die Modellwohnungen gemietet. „Ich hab' die auch für den Zweck eingerichtet.“ Und sie kassierte die Miete. „Wenn die nicht zahlen konnten, dann ist Sammy da später nochmal allein hingefahren.“ Sammy, das ist der inzwischen vom Landgericht zu sechs Jahren Haft verurteilte Zuhälter Warnken. „Konnten sie sich nicht vorstellen, was der dann mit den Mädchen gemacht hat?“, fragt der Richter. Ja. Nein. Die Angeklagte stockt. „So richtig“ habe sie das nicht gewusst. Später sagt sie, blaue Flecken seien ihr schon aufgefallen. „Mit mir war Sammy auch nicht immer sanft.“ Sie fühlt sich ein bisschen auch selbst als Opfer. Eines der Mädchen habe ihr geschrieben, „der Sammy, der steigt über jede drüber“. „Stellen sie sich das mal vor, ich war doch grade schwanger von ihm.“

Ein bisschen Opfer wollten sie an diesem ersten Verhandlungstag alle sein – Jürgen K., Kranführer und zur Tatzeit mutmaßlich Zuhälter, will nicht aussagen, weil er nach zweimaliger Kopfverletzung Konzentrationsschwierigkeiten habe. Der Richter bekundet Verständnis. Der Anwalt einer weiteren Angeklagten legt ein psychiatrisches Attest vor, das seiner Mandantin Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt. Der dritte Angeklagte hat sich ebenfalls entschieden, nicht auszusagen. Und der vierte schließlich, ein Fahrer, der „vier Stück Frauen“ von Greifswald nach Bremen brachte, sagt zwar nur aus, dass er nichts gewusst hat. Auch er ein Opfer: „Meine Frau hat Brustkrebs.“ Er selbst sei Bluter, er habe drei, nein vier Kinder, die zweite künstliche Hüfte, kein Geld und kein Handy. Er wirkt , als wollte er sagen: Ja gut, die Mädchen, aber mir geht's auch nicht gut. Als stoße ihm, wie auch den anderen Angeklagten, alles nur zu. Als der Richter das Verfahren gegen ihn einstellt, zeigt er keine Freude. Für ihn ist es wahrscheinlich Jacke wie Hose. Elke Heyduck