Werner Müller bald in SPD?

Der parteilose Wirtschaftsminister war der stille Star der Bundestagsdebatte über Trittin und deutschen Nationalstolz. Antrag der Union auf Entlassung des Umweltministers wurde abgelehnt

„Damit man in Deutschland stolz sein kann auf die Opposition.“

aus Berlin JENS KÖNIG

Das kommt wahrlich nicht allzu oft vor, dass die bemerkenswerteste Leistung einer aufgeregten Bundestagsdebatte ein Abgeordneter vollbringt, der kein einziges Wort sagt. Diese Anerkennung hat sich Jürgen Trittin mit Schwerstarbeit verdient. Geschlagene 100 Minuten saß der Bösewicht des Monats März auf der Regierungsbank im Parlament, ohne auch nur einmal den Mund aufzumachen. Nicht einmal die Lippen hat er bewegt.

Auch sonst zeigte er keine Regung. Kerzengerade saß der Fast-Zweimetermann da, als hätte er den Stock einer großen Deutschlandfahne verschluckt, vor sich auf dem Pult die Arme übereinander gelegt – in dieser bußfertigen Haltung verfolgte der grüne Umweltminister diszipliniert die Debatte, die zum Ziel hatte, ihn an diesem Tag zu stürzen. Für diese körperliche Energieleistung gebührt ihm zuallererst die Verdienstmedaille des deutschen Verbandes für Ergotherapie. Aber auch die Abgeordneten der Koalition werden darüber froh gewesen sein. Vor zwei Wochen hatten sie Trittin noch vorgeworfen, den Angriffen der Opposition mit aufreizend lässiger Körperhaltung begegnet zu sein.

Disziplin – das war am Donnerstag nicht nur für den Umweltminister die wichtigste Eigenschaft, die er zu beherzigen hatte, sondern ebenso für die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen. Sie waren vollständig erschienen, um den Antrag der Union auf Entlassung von Trittin mit der nötigen Stimmenmehrheit abzulehnen. Das mag den meisten Sozialdemokraten und auch vielen Grünen schwer gefallen sein, weil sie in der Tiefe ihres Herzens davon überzeugt sind, dass es für die Regierungskoalition besser wäre, den umstrittenen Umweltminister abzulösen. Aber was sie noch weniger können, als ihrer Wut freien Lauf zu lassen, ist, der Union eine Trophäe auf dem Silbertablett zu überreichen.

Also haben SPD und Grüne gestern kurzen Prozess gemacht. Nach einer etwas überhitzten, aber alles in allem geschäftsmäßigen Debatte stimmten 354 Abgeordnete von ihnen und der PDS gegen den Antrag der Union.

Zuvor hatten fast alle Redner das gesagt, was von ihnen erwartet werden konnte: Merz (CDU), Westerwelle (FDP) und Waigel (CSU) forderten Trittins Entlassung und beharrten darauf, stolz auf Deutschland sein zu dürfen. Struck (SPD), Müller (Grüne ), Fuchs (SPD) und Claus (PDS) kritisierten Trittins Äußerungen und warfen der Union vor, mit ihrer Nationalstolzkampagne den Rechtsextremisten die Stichworte zu liefern.

Vielleicht war gerade dieser kalkuliert aufgeregte Umgang mit dem Problem Trittin sowohl bei den Regierungsfraktionen als auch bei der Opposition der Grund dafür, dass ausgerechnet ein Mitglied der Bundesregierung, das kein Abgeordnetenmandat besitzt, die einzige überzeugende Rede zur Verteidigung von Trittin hielt. Es war Werner Müller, der parteilose Wirtschaftsminister, der nicht gerade als ein Freund des Umweltministers gilt. Vielleicht war es sogar eine günstige Voraussetzung für diesen bemerkenswerten Auftritt, dass Müller völlig zu Recht als ein rhetorischer Langweiler vor dem Herren gilt.

Aber gerade das Emotionslose seiner Rede war es, das die Unionskampagne gegen Trittin am wirksamsten unterlief. Müller nannte Trittins Angriff auf den CDU-Generalsekretär die spontane Entgleisung eines Einzelnen. Das Verbrecherplakat der Union hingegen sei eine „kollektive, geplante Entgleisung“ gewesen. „Ihr Antrag auf Entlassung wäre nachvollziehbar“, sagte Müller trocken, „wenn sie vorher Laurenz Meyer entlassen hätten.“ Müller war auch der einzige am gestrigen Tag, der Trittin als streitbaren, aber guten Umweltminister lobte. Trittin dürfte es vor lauter Freude schwer gefallen sein, seine Gesichtsmaske in Form zu halten.

Am Ende seiner Rede empfahl der Wirtschaftsminister der Union in aller Seelenruhe, sie solle es doch einfach mal mit guter Sacharbeit versuchen. „Ich sag ihnen auch, warum“, so Müller. „Damit man in Deutschland stolz sein kann auf die Opposition.“ Jubel bei SPD und Grünen. Joschka Fischer und Otto Schily springen von der Regierungsbank und gratulieren Müller. Rudolf Scharping klopft ihm auf die Schulter. Trittin reicht Müller die Hand. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis dem parteilosen Wirtschaftsminister die SPD-Ehrenmitgliedschaft angeboten wird.