Dem Minister fehlt der Schliff

Meyer ist kein Gegner für Trittin, er ist ein Feind. Die K-Gruppen-Sozialisation bleibt spürbarTrittin gäbe einen guten Generalsekretär ab. Doch der ist bei den Grünen nicht vorgesehen

von MATTHIAS URBACH

„Ich bin für die Partei und das Böse zuständig.“ So charakterisierte Jürgen Trittin vor knapp drei Jahren seine Rolle, als der grüne Parteichef die Grünen in den Wahlkampf führte. Inzwischen ist er seit zwei Jahren Umweltminister – und nur noch für das Böse zuständig.

Kein Politiker provoziert so viel heiligen Zorn: Unions-Fraktionschef Friedrich Merz nennt ihn „nicht mehr erträglich für die Demokratie“, CSU-Generalsekretär Thomas Goppel attestiert ihm „ein ausgesprochen krankes Hirn“ und SPD-Generalsekretär Franz Müntefering findet Trittin zuweilen „bekloppt“.

Eigentlich gefällt dem grünen Politiker diese Rolle. Er ist Widerstand gewohnt. Doch dass er in der Bild-Zeitung inzwischen Babs & Boris abgelöst hat, schlägt auch ihm auf den Magen.

Trittin ist wieder ganz unten. Dort, wo er im Sommer 1999 schon einmal war, als der Finanzpolitiker Oswald Metzger seinen Rücktritt forderte. Als er sich im Konflikt um das Ende der Wiederaufarbeitung aufrieb und sich als Befehlsempfänger des Kanzlers alle Sympathien der grünen Fraktion verscherzte, weil er die Altautoverordnung in Brüssel abblockte.

Diesmal preschte die Abgeordnete Franziska Eichstätt-Bohlig mit der Rücktrittsforderung vor. Als Belastung empfinden viele Fraktionsgrüne den „Minus-Mann“, der in der Beliebtheitsskala der Politiker chronisch einen hinteren Platz hält – unterboten nur noch von Gerhardt, Merz und Koch. Mit seiner „kühl-distanzierten Art“ und seiner „Arroganz“ stoße er immer wieder Leute vor den Kopf, so der Vorwurf. „Der warme Lichtstrahl“ fehle in seiner Ansprache.

Wenn es um die Beschreibung Trittins geht, werden gestandene Redakteure zu Hobbypsychologen. Eine „misstrauische, lauernde Verschlossenheit“ und einen „Provokationszwang“ diagnostizierte die Zeit, „ein Fall von komplizierter Persönlichkeitsstruktur“ findet die Frankfurter Rundschau. „Er strahlt Distanz aus“, beobachtet die Süddeutsche Zeitung, „schon aus seiner Körperhaltung spricht die Bereitschaft zur Revolte“. Die taz entdeckte in ihm einen „freundlichen Autisten“.

Immer wieder läuft die Debatte um Trittin auf eine Debatte um den richtigen Benimm heraus. Andere Minister fallen, weil sie vertuschen, betrügen, hinterziehen. Doch sollte Trittin wirklich noch vor der Wahl seinen Job verlieren, dann weil er sich nicht so benehmen kann, wie man es von einem ordentlichen Minister erwartet.

Darauf angesprochen, räumt Jürgen Trittin selbst ein, dass er eine Art zu reden habe, die manchmal Widerspruch provoziere. Er sagt das leise. Man merkt, dass er zuweilen selbst damit hadert. Doch der eigentliche Grund für die Kritik sei politisch. „Ich bin hier der Einzige, der noch Konflikte benennt und aushält.“ Auch wenn es offiziell bei den Grünen keine Flügelstreitigkeiten gibt, Trittin ist noch ganz drin im Kalkül von Fundi und Realo. Und er fühlt sich von den Realos gemobbt.

Tatsächlich sprachen Grüne aus Fischers Umfeld vor der Wahl mit der Frankfurter Allgemeinen und behaupteten, Trittins Stern sei mit dem Wahlausgang verknüpft. So kocht man einen Minister klein. „Die CDU hätte ihren Mann nicht so fallen lassen“, klagt ein Trittin-Vertrauter.

Der Umweltminister hat seine historische Mission für die Grünen erfüllt. Der erste Castor ist durchgebracht und der Atomkonsens ausgehandelt. Zwar haben die Stromkonzerne noch nicht endgültig unterschrieben, dennoch halten sie sich bereits an den Vertrag. Trittins entscheidende Leistung dabei war es, in seiner Partei, die in die Idee des Sofortausstiegs verliebt war, den Ausstieg in zwanzig Jahren durchzupauken. Dazu brauchte man einen wie ihn: einen geschickten Redner, der einen Parteitag auf seine Linie einschwören kann, und einen prominenten Linken, der die nötigen Kompromisse glaubwürdig für seinen Flügel verkauft.

Auch aus Strömungsproporz ist Trittin nicht mehr unverzichtbar, seit die linke Grüne Renate Künast als Verbraucherministerin im Kampf gegen allerlei Tierseuchen selbst Joschka Fischer in der öffentlichen Beliebtheitsskala hinter sich ließ.

Nach seinem tiefen Fall im Sommer 1999 hat Trittin fast unbemerkt einen inhaltlichen Wechsel vollzogen – zu einer straffen Realpolitik: Anstatt den Koalitionsvertrag wörtlich zu nehmen und offen den Konflikt zu suchen, stimmte er seine Entwürfe nun leise im Vorfeld ab. Nur was durchsetzbar war, verließ seine Behörde. Die Ergebnisse waren zuweilen enttäuschend, wie etwa die Naturschutz-Novelle. An anderer Stelle hatte die lautlose Strategie Erfolg: Als es um das Dosenpfand ging, zog er geschickt die Länder auf seine Seite. Und auch das Klimaschutzprogramm, durchgesetzt mit Hilfe des Kanzleramts, kann sich sehen lassen.

Der Umweltminister ist also bester Laune an jenem Sonntag vor nunmehr drei Wochen, als er im Wahlkampf mit seinem silbergrauen Audi in Baden-Württemberg zu seinem letzten Auftritt eilt. Während die Sonne in den Wagen scheint, gibt er dieses Interview bei WDR 5, das aufgezeichnet wird für die Sendung am nächsten Morgen. Und da spricht er diesen Satz ins Handy, der ihm noch lange anhängen wird. Der Satz eines Wahlkämpfers, nicht eines Ministers: „Laurenz Meyer hat die Mentalität eines Skinheads, und nicht nur das Aussehen.“

Eine Steilvorlage für die Union. Ein dummer Satz. Aber ist es seine „Arroganz“, die ihm hier schadet, seine „Verschlossenheit“? Warum sagt ein Politiker mit einem analytischen Verstand so einen Satz? Natürlich weiß auch Trittin, dass Meyer kein Skinhead ist. Aus diesem Satz spricht Verachtung: Meyer ist kein Gegner für Trittin, er ist ein Feind. Noch immer ist der Umweltminister verhaftet im Freund-Feind-Denken, in seiner Sozialisation in den Siebzigern, seiner Zeit in K-Gruppen, in der Auseinandersetzung mit dem Unions-Ableger an der Universität, dem RCDS. Wo man ihn als „Mörder“ beschimpfte, weil er sich nicht vom Mescalero-Brief distanzieren wollte.

Und vielleicht ist Laurenz Meyer wirklich sein Feind. Wochenlang versuchte die CDU vereint mit der Springer-Presse, Trittin wegen dessen Biografie aus dem Amt zu jagen – fast wie in alten Zeiten. Und hat die Junge Union nicht noch immer dieses Spiel auf ihrer Website, wo man die meisten Punkte bekommt, wenn man mit dem Hammer auf Trittins Schädel drischt? Ist es bei so vielen Schlägen nicht verständlich, wenn es dem Umweltminister schwer fällt, sich auf Anhieb korrekt zu entschuldigen? Die Union ist ohnehin nicht daran interessiert.

Für so einen Fall haben Politiker für gewöhnlich Berater. Trittins Fraktionsassistentin etwa sitzt im Auto neben ihm, als er das WDR-Interview per Handy gibt. Doch ihr fällt nicht einmal auf, dass der Satz kritisch ist. Ein anderer Berater will ihn gar von einer Entschuldigung abbringen. Der Minister umgibt sich überwiegend mit alten Weggefährten, anstatt auch Leute mit einem anderen Blick zu suchen. Er schottet sich ab.

Wie gerne würde ihm die Fraktion den anderen Stil beibringen, ihn umerziehen. An guten Ratschlägen mangelt es nicht; er solle mehr Herz zeigen: „Gummistiefel anziehen“, „Kröten über die Straßen tragen“ und „auch mal ein Schwein streicheln“. Aber das kauft dem Trittin keiner ab. Tatsächlich hat Trittin sich bemüht, auf diversen Naturschutzreisen sich dem Journalisten-Tross mal anders zu zeigen. Doch selbst auf diesen Reisen interessiert nur das Atom. Wen wundert’s, wenn da der Minister sein grimmiges Atomgesicht aufsetzt und die Arme vor der Brust verschränkt?

Trittin will mit seiner Biografie nicht brechen, wie der Außenminister das tut. Eine Biografie entwickele sich kontinuierlich – und dazu gehören für ihn auch Widersprüche: Realpolitik, wenn es nicht anders geht, und zugleich linke Ideale hochhalten. Das Radikale sucht sich Ritzen in den Mauern des Amtes.

Bei aller Realpolitik will Trittin sich weiter abgrenzen von der SPD. Dabei denkt er auch an die Bindung linker Wähler an die Grünen. Kein Thema ist ihm dabei so wichtig wie der Kampf gegen Nationalismus. Schon vor der Wahl 1998 protestierte er aus diesem Motiv scharf gegen die öffentliche Soldatenvereidigung in Berlin.

So erhält er sich seine Feindschaften – und die Zuständigkeit für das Böse. Von Trittin wird immer noch grundsätzlich das Schlechteste angenommen. Welt am Sonntag und Spiegel kolportierten, er habe in den Siebzigern auf einer Uni-Versammlung einen RCDSler mit einem Mikrofonkabel fast erwürgt. Das vermeintliche Opfer kann sich daran nicht erinnern. Und Redakteure der Bild-Zeitung sahen auf einem Foto bewaffnete Chaoten gemeinsam mit Trittin demonstrieren. Reine Projektion. Ein Seil wird zum „Schlagstock“, ein Handschuh zum „Bolzenschneider“. Trittin traut man eben alles zu.

Natürlich ist das eine Belastung für die grüne Regierung. Viele wären ihn gern los. Aber wie, ohne der Union in die Hände zu spielen – und ohne der Partei zu schaden? Denn in den Fraktionsbüros häufen sich bereits Solidaritätsbekundigungen grüner Mitglieder für „den Jürgen“.

Trittin gäbe einen guten Generalsekretär ab, einen Garanten für grüne Traditionspflege. Doch der ist bei den Grünen nicht vorgesehen. Die Pflege grüner Werte, das ist auch das Spezialgebiet von Claudia Roth. Sie muss beweisen, dass sie ihren Job versteht. Gelingt ihr das, wird Trittins Wirkung auf Stammwähler vielleicht nicht mehr gebraucht.

Und dann könnte sein Auftreten tatsächlich ausschlaggebend werden. Ganz egal, ob Trittin nun ein „arrogantes Arschloch“ ist oder einfach nur ein bisschen schüchtern.