Wachsende Dome

■ Morgen ist der 1. April, aber was hier steht, ist wahr: die Geschichte von Tänzen in Bäumen, Gärten in Felsen und von einem Oldenburger Knecht des Journalismus, der dank eines alten Kauzes sein Leben umgekrempelt hat

Der Name! Karl Heinz Heilig. Kann man mit sowas leben? „In der Schule nannte man mich Heiligenschein. Das war doof. Doch seit ich weiß, dass mein Name von ,heilen' kommt, habe ich mich damit versöhnt.“ Vor zwei Jahren stand dieser Name sogar in Zeitungen. Damals brachte der Oldenburger seinen vielgerühmten Film „La casa delle favole“ raus, der demnächst in Bremen gezeigt wird. Wir aber interessieren uns hier für Heiligs aktuelles Projekt: einen Dokumentarfilm über das Künstlerehepaar Dorothea und Marcel Kalberer, das aus Weiden Paläste und Dome baut – zum Beispiel zur Bundesgartenschau in Rostock 2003, sponsored by IKEA-Stiftung.

Aber zuerst ein bisschen Biografie: Heilig liebt den Wald, also studierte er Forstwirtschaft. Wie alles nahe liegende ein Fehler. Ziemlich bald merkte er: Fachausrichtung, Kommilitonen ... – alles reichlich konservativ. Er vollendete zwar sein Studium, trieb sich danach aber beruflich in der Ökoszene herum – was bei Heiligs Bekenntnis zur Bescheidenheit finanziell immer irgendwie hinhaute. Aber er wollte ein Haus bauen, mit den eigenen Händen, und da gesteigerter Geldfluss nicht absehbar war, baute er es 1985/86 aus weggeworfenen Holzpaletten, Steinen abgerissener Häuser, Fensterrahmen aus dem Abfallcontainer und anderen Fundmaterialien, mitten in Oldenburg.

Die Baugenehmigung konnte er sich erst holen, als nach zwei Jahren alles fertig war. Denn als offener Mensch verzichtete er auf einen Plan. Vorgegeben war lediglich: 35qm Grundriss, zwei Stockwerke. Vor dem Hausbau beschränkten sich seine handwerklichen Kenntnisse auf das Einhämmern von Nägeln. Doch die den Bau abnehmende TÜV-Beamtin lobte die Kons-truktion mit den vielen Fenstern und Erkern, obwohl sie die Verwendung einer Fenstersprosse als Dachträger doch ein wenig wagemutig fand.

Der WDR drehte einen Film über das Zwergenhaus, weil es damals noch gängige architektonische Kategorien sprengt. Um die 20.000 Zuschauerzuschriften zu bewältigen, musste der Sender zwei Leute für vier Wochen einstellen.

Schon mit 12 Jahren überkam Heilig der bewahrende Geist des Dokumentaristen. Egal ob Schulausflug oder später die halbjährige Wanderreise durch Lappland: Er hielt drauf mit seiner Super 8. Als ihn das Ökobusiness zu langweilen begann, besann er sich auf seine cineastischen Qualitäten und drehte ab 1988 für den WDR als sogenannter „fester Freier“ Dokumentarfilme, und zwar ganze zehn Jahre lang; zum Beispiel über die zyklischen Auf- und Abholzungen des Harzes, über „Bauen mit Lehm“, „die Siegerländer Haubergs-Cultur“, „der Schwarzwald der Fürs-ten“, „Bionik“ etc. „Damals habe ich prächtig verdient. Zumindest für meine Verhältnisse. Wahrscheinlich wird es meinem Banckonto niemals wieder so gut ergehen.“

Heilig war so gut im Geschäft, dass er sich ein kleines Studio für etwa 250.000 Mark leistete. Als dann mit Aufkommen der Kabelsender die Filmschnitte immer schneller/rockiger werden sollten und die Themen immer „prickelnder“, dachte er sich: „Ich steige aus.“ Aber bekanntlich liegt zwischen einem Entschluss und dessen Umsetzung eine abgründige Schlucht. Heilig übersprang sie mit der Hilfe eines alten Mannes in einer Schlucht, einer realen Schlucht.

1997 lernte er den Walter kennen, Walter Bartlomé. Dieser entdeckte mit 14 – das war 1929 – beim Spielen ein absolut abgeschottetes Felsental. Und wer aus dem Berner Subproletariat entstammt, fängt bei soviel Wildromantik zu träumen an. Fern von Gestank und Menschen – was manchmal oft dasselbe ist – wollte er in der Felsenschlucht seinen persönlichen Garten Eden bauen. Freeclimber hätten da andere Visionen. Zwar sprachen zwei Dinge gegen den Garten – die Abwesenheit von Erde und die vertikale Ausrichtung des Gesteins – doch mit ausgeklügelten Terrassierungsverfahren und fintenreicher Bewässerungsanlage brachte er die Felswand zum Dauerblühen – auch wenn das zugegebenermaßen diverse Jahrzehnte dauerte. „So eine Üppigkeit habe ich noch nie gesehen.“ Auch ein Haus meißelte der Walter ins Gestein und als Heilig das alles entdeckte, war ihm klar: Das muss dokumentiert werden, und zwar über einen ganzen Jahreszyklus hinweg. Also fragte er Walter: „Kann ich ein Jahr lang bei dir leben?“ Und der sagte: „Ja klar.“ WDR – und tschüss, du angepasster öffentlicher Sender.

Natürlich bemühte sich Heilig durch den öffentlich-rechtlich vorgesehenen Instanzenweg hindurch um „Öffentliche Filmförderung“. Natürlich blitzte er ab. „Dafür habe ich jetzt die Rechte über meinen Film.“ Die Produktionskosten betrugen 400.000 Mark. Doch davon fehlte die Hälfte. Da sprangen 200 Bekannte und Unbekannte bei mit Spenden und zinslosen Krediten. „Um die Produktionskosten wieder hereinzuholen, tingle ich jetzt mit meinem Film durch die Lande.“ Das Oldenburger PFL mit seinen 300 Plätzen war mehrmals hintereinander ausverkauft. Und auch in fremden Städten ist spätestens die zweite Vorführung ausverkauft dank Mundpropaganda. „Ich glaube, die Menschen merken, dass es nicht nur um den Garten geht, sondern um eine Lebenshaltung: sich etwas zu trauen, und sich etwas zuzutrauen. In dem Jahr in der Senseschlucht habe ich gelernt, mutig zu sein.“ Aus diesem Grund wird der Film in Therapien und bei psychologischen Tagungen eingesetzt. Außerdem hat er Heilig einen Lehrauftrag für Bildgestaltung an der Fachhochschule Offenburg eingebracht.

Doch längst arbeitet er an einem neuen Projekt, einer Dokumentation der „Kunsthappenings“ des Ehepaars Kalberer, die am Bodensee leben. Marcel Kalberer war einst Architekt im renommierten Büro von Frei Otto. Er versuchte eigene Wege zu gehen, etwa mit dem ungewöhnlichen Projekt eines Dampfbads für Muslime. Aber er wollte sich wohl dann doch nicht dauerhaft herumschlagen mit Behörden und Bauherren. Bei seinen sechswöchigen Aktionen werden tonnenweise Weidenzweige in den Boden gesetzt, und zwar in Form eines Gebäudegrundrisses. Die sprießenden Zweige werden zu Säulen und Verstrebungen verzwirbelt, ehe sie verhärten. Zum Teil ist es die Technik, mit der man einst Weidenkörbe flocht. Dabei helfen bis zu 300 Menschen aus ganz Europa und jeden Alters. „Man saut sich völlig ein und es ist anstrengend, aber die Stimmung ist einzigartig.“ Als EXPO-Projekt wurde ein gigantischer pantheonartiger Rundbau in Auerstedt bei Weimar realisiert, dort, wo in den napoleonischen Kriegen 20.000 Menschen getötet wurden. Letzten Sommer versammelten sich unter der grünen Kuppel bis zu 800 Personen zu Vollmondpartys, Lichtinstallationen, etc. Zurzeit ist ein „Dom“ nahe Rostock in Arbeit – ein Mittelding zwischen gotischem Bau und Jurtenansammlung.

Diese „wachsenden Architekturen“ haben eine Geschichte. Im 17. Jahrhundert, als in Frankreich die Fürsten Büsche in Kegel- und Kugel-Skulpturen verwandeln ließen, transformierte auch das einfache Volk die Natur. In etwa 200 Dörfern wurden Lindenbäume über Generationen hinweg so zurecht gebogen, dass ihre Äste einen Quader, einen Raum beschreiben. In Limmersdorf, Nähe Bayreuth, ist ein Exemplar erhalten. In dieser etwa 50qm großen „Tanzlinde“ wurden einst (und heute) Feste gefeiert. Schwer zu glauben, würde es nicht das Fremdenverkehrsbüro Fränkische Schweiz bestätigen. Aus dem Mittelalter ist eine Kirche aus lebenden Bäumen dokumentiert. In Peesten, wo die Ruine einer Tanzlinde erhalten ist, wird gerade ein Dokumentationszentrum für gewachsene Räume eingerichtet.

Während Heilig sich gerade um die Gelder für die Endproduktion seines Films bemüht, spuken schon neue Projekte durch seinen Kopf. Etwa ein Spielfilm über einen vergessenen Kollegen des Chirurgen Sauerbruch. Dieser August Bier arbeitete schon um 1920 an der Berliner Charité mit homöopathischen Methoden. Aber Heilig interessiert natürlich etwas anderes: Dieser Dr. Bier verwandelte ein großes verstepptes Grundstück in einen Dschungel. Barbara Kern

Der Film „La casa...“: 12.4., 20h + 24.4. 14.30h; Infos: Tel.: 0441/73456,Tel.: www.heilig-film.de , www.sanftestrukturen.de . Der Dom-Bau bei Rostock geht bis 27.4. Wer mindestens drei Tage Zeit, hat kann gegen freie Kost und Logis mitpflanzen, Infos, Tel. 0381/4583743