Ein Mann für gewisse Filme

Seine Eltern hätten ihn viel lieber in einem sicheren Beruf gesehen. Trotzdem hat sich Erdal Yildiz mit Rollen in „Aprilkinder“ oder „Freunde“ als türkischer Schauspieler durchgesetzt. Ein Portrait

von DANIEL BAX

Das Pathos kommt wohl dosiert. „Ich glaube an den Film und liebe das Kino“, holt Erdal Yildiz zum Bekenntnis aus, während er an einem sonnigen Mittag im Literaturcafé in der Fasanenstraße ein spätes Frühstück zu sich nimmt. Er wohnt um die Ecke, im beschaulichen Westen, der längst nicht mehr zu den zentralen Schauplätzen des Neuen Berlins zählt. „Ich glaube an das Kino“, sagt er, „und dass es sich so verändert, dass ich ein Teil dessen sein kann.“ Die nachdenkliche Hinzufügung ist von Bedeutung. Denn dass jemand wie er im deutschen Film für mehr als Nebenrollen in Frage kommt, ist keine Selbstverständlichkeit.

Insofern war Erdal Yildiz schon etwas blauäugig, als er vor fünfzehn Jahren nach Berlin zog, weil er ausgerechnet von einer Filmkarriere träumte. „Ich dachte, in einer Großstadt werde ich bestimmt entdeckt“, grinst er. „Das war eine naive Haltung damals. Aber sie hat mir geholfen.“ Seine Eltern waren weniger begeistert von seinen Flausen. Aus der Türkei eingewandert, hätten sie es lieber gesehen, wenn ihr jüngster Sohn eine sichere Laufbahn eingeschlagen hätte – so wie seine sechs Geschwister, die konventionelleren Berufen nachgehen, vom Automechaniker bis zur Friseurin.

Zum Glauben gesellte sich in Berlin bald ein wenig Glück: Im Klamottenladen „Blue Moon“, in dem Yildiz anheuerte, arbeitete auch eine griechische Kollegin, die an der dffb Regie studierte. Sie engagierte ihn für ihren ersten Kurzfilm, der mehrere Preise einheimste. Erst danach entschloss sich Erdal Yildiz, zur Schauspielausbildung nach New York zu gehen. Drei Jahre studierte er dort am renommierten Lee-Strasberg-Institut, wo schon viele Nachwuchsstars des deutschen Kinos in den vergangenen Jahren in die Lehre gegangen sind – zusammen mit Benno Fürmann, mit dem er aus Berlin gekommen war.

Dort kultivierte er jene Spielweise, deren Intensität sich gerade dem bewussten Verzicht auf vordergründige Effekthascherei verdankt. Blicke und kleine Gesten statt großer Worte: „Es ist ja oft so im Leben, dass der Mund etwas anderes sagt als die Augen. Man redet ja auch oft Unsinn“, formuliert Erdal Yildiz seine Philosophie des Minimalismus. Auch im Alltag achtet er auf Körpersprache und subtile Signale und ist ein genauer Beobachter. Umgekehrt lässt er sich nicht so gern aus der Reserve locken. Vom Sport hat er sich angewöhnt, dass man dem Gegner in die Augen schauen muss, um dort dessen Intentionen abzulesen.

Aber nicht nur in schauspielerischer Hinsicht erwies sich der Aufenthalt in den USA als Offenbarung für Erdal Yildiz: „Das war das erste Mal in meinem ganzen Leben, dass ich mich nicht mehr als Ausländer gefühlt habe“, erinnert er sich. „Dieser Druck war plötzlich weg. Ich war so irritiert, weil ich mich so unscheinbar, fast unsichtbar gefühlt habe.“

Zurück in Deutschland, musste er sich an seine Sonderrolle erst wieder gewöhnen. Während sich seine deutschen Kollegen die lukrativsten Angebote aussuchen konnten, hatte Erdal Yildiz erst einmal gegen Vorbehalte zu kämpfen: Sein Aussehen, seine Herkunft, sein leichter Akzent – die Agenturen sahen darin vor allem ein Hindernis. Durch Filme wie „Aprilkinder“ oder „Lola + Bilidikid“ von jungen Regisseuren wie dem New Yorker Kutlug Ataman und Yüksel Yavuz aus Hamburg, die wie er aus der Türkei stammen, bekam Erdal Yildiz die Chance, sein Können unter Beweis zu stellen. „Ich bin ein Kanake, und werde immer ein Kanake bleiben“, fasst Erdal Yildiz seine Erfahrungen im Filmbusiness zusammen. „Ich werde immer darauf aufmerksam gemacht, dass ich fremd bin.“

Dabei hat sich Erdal Yildiz schon früh gesträubt, sich in vorgefasste Rollen zu fügen. Nachdem er die ersten sieben Jahre im Dorf seiner Eltern in den Bergen Anatoliens verbrachte, zog er nach Tübingen, wo der Vater – „ein naturverbundener Mensch“ – als Gärtner Arbeit fand. „Als wir aus der Türkei nach Deutschland kamen, konnten wir aus unserer Wohnung direkt auf eine Kirche schauen“, erinnert er sich an die prägenden Eindrücke seiner Kindheit: „Dort war ich oft mit meinen Geschwistern. Wir haben dort Kerzen angezündet und fanden das sehr abenteuerlich.“ Mit 16 begann dann eine Phase als Punk: Er färbte sich die Haare rot, kritzelte Slogans auf seine Lederjacke und gründete mit Freunden eine Band, die sich „The Cry“ nannte und in einem Jugendhaus probte. Sein Vater musste sich in dieser Zeit aus dem Verwandtenkreis viele Vorwürfe anhören über das seltsame Verhalten seines Sohnes. Eines Tages wurde es ihm zu bunt, und die Lederjacke landete im Müll. „Es war, als ob man einem Rocker das Motorrad wegnimmt“, erinnert sich Erdal Yildiz an die erlittene Schmach.

Später, in Berlin, konvertierte er vom Punk zum Rockabilly, tauschte den Irokesenschnitt gegen eine Tolle, und auf der Jacke prangte hinten nicht mehr „Exploited“, sondern „Elvis“. So trat er seinen Dienst als Schuhverkäufer im „Blue Moon“ an, wo er unter anderem Doc Martens an junge Rockabillys, Mods und Skins verkaufte. Das führte gelegentlich zu seltsamen Situationen: „Einmal kam ein Typ in den Laden und sagte zu mir: ,Ich brauch ein paar Springerstiefel mit Stahlkappen, um einem Türken in die Fresse zu treten.‘ Da habe ich ihn nur erstaunt angeguckt und gesagt: ,Du wirst lachen, aber vor dir steht einer.‘ Darauf wurde er blass und wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Er ist dann gegangen – ohne Schuhe zu kaufen.“

Noch heute jobbt Erdal Yildiz nebenher, um sich finanziell über Wasser zu halten; im „103“ steht er gelegentlich hinter dem Tresen. Das liegt nicht nur daran, dass er als Schauspieler nicht genug Aufträge bekommt – er behält es sich auch vor, wählerisch zu sein. „Ich möchte hinter jedem einzelnen Film stehen können, den ich mache. Oft sind die Figuren, die ich spielen soll, sehr einfach – als würde man die Figur an einem Faden von links nach rechts ziehen, ohne dass sie sich verändert“, empört er sich. Für Fernsehproduktionen arbeitet er deswegen aus Prinzip nur selten, und über das Niveau des deutschen Films kann er sich ausgiebig ärgern: „Ich möchte nur mit Regisseuren arbeiten, die sich was trauen. Jim Jarmusch wäre so jemand. Aber hier? Da muss ich schon sehr lange überlegen.“ Er sagt das selbstbewusst, nicht arrogant.

Mit dem Regisseur Martin Eigner, ebenfalls ein dffb-Absolvent, hat Erdal Yildiz zumindest einen gefunden, der bereit ist, voll auf seine Fähigkeiten zu vertrauen. Für den subtilen Krimi „Freunde“, Eigners Debütfilm, übertrug er ihm die Hauptrolle des enigmatischen Kneipenwirts Tayfun.

„In seinem nächsten Film soll ich einen Engel spielen“, freut sich Erdal Yildiz schon darauf, einmal gegen den Strich besetzt zu werden. „Wer bitte schön würde mich sonst so besetzen? Als Teufel vielleicht. Aber als Engel?“