Autopause im Naturtheater

Kalifornische Mythen, Wüsten und andere Landschaften im Amerika der unbegrenzten Gegebenheiten: Die Galerie Max Hetzler zeigt neue Fotografien von Thomas Struth

Immer wieder Vergleiche. Weil er Schüler in der Klasse von Bernd und Hilla Becher war, wird der Fotograf Thomas Struth ständig mit seinen früheren Kommilitonen in Verbindung gebracht. Zum Rat Pack aus Düsseldorf gehören Axel Schütte, Candida Höfer, Thomas Ruff, Andreas Gursky und eben Struth. Das hat in den Neunzigerjahren zu einem internationalen Boom der New German Photography geführt, aber nur selten zu Gruppenausstellungen, an denen sich die Unterschiede der Positionen hätten zeigen können. Vielleicht ist das Thema mittlerweile aber auch vom Tisch, seit Gursky vor ein paar Wochen mit einer Einzelausstellung im New Yorker Museum of Modern Art zum allein regierenden Fotogroßkünstler aufgestiegen ist.

Struth kann das nur recht sein. Seine fotografische Arbeit hat sich in den letzten 20 Jahren enorm ausdifferenziert und könnte schon deshalb ein close reading gebrauchen. Wenn man ganz nah herangeht, sieht man, dass die Fotografie bei ihm ohne die Malerei nicht denkbar wäre. Jede Schärfe, jedes Detail fügt sich als farbliche Brechung in die Gesamterscheinung der Szenarien; und keine der Kompositionen kommt ohne Ruhezonen aus, an denen das Auge sich zwischen konkretem Gegenstand und abstrakter Weite neu orientiert. Struth selbst nennt seine Fotos „Beziehungsprotokolle“, die der Betrachter beim Betrachten nachvollzieht. Das gilt auch für seine neuen Landschafts- und Stadtsettings von der US-Westküste, die er bei Max Hetzler ausstellt: Dann schimmert eine grüne Balkonecke sanft am Rand der Straßen von San Francisco im Chinatown-Viertel; und die rote Flamme eines Schweißgeräts zieht den Himmel und die Wüste von Nevada an diesem einen Punkt zusammen.

Tatsächlich spielen die sieben, bis zu 2 x 2,40 Meter großen Fotos gleichermaßen mit Aufmerksamkeit und Ablenkung. Dafür hat Struth sich unglaublich wohlproportionierte Landschaften gesucht: Eine unendliche Steppenödnis am Fuß der Berge („Nevada 1“), Wildwuchs irgendwo in Kalifornien („Paradies 17“) oder die von blau leuchtenden Wassergräben durchzogenen Felder auf „California Valley 1“. Alles deutet auf die überwältigende Fülle einer über Jahrhunderte sorgsam kultivierten und trotzdem höchst eigenmächtigen Natur hin, die von Europa aus gesehen noch immer an Amerika als God’s own country denken läßt.

Gleichzeitig nimmt Struth dieses Land der unbegrenzten Gegebenheiten nie bloß staunend hin. Er präzisiert, sucht aus, steigert. Am Rand der Wüste von Nevada sucht sich Struth für die Kamera einen Standpunkt im Schatten, von dem aus der Himmel umso blauer schimmert; und wenn er herbstlich goldene Büsche fotografiert, dann wartet er, bis die Sonne genau so auf die Blätter fällt, als hätte ein Renaissance-Maler Lichtpunkte gesetzt, wie bei einer Erweckungsszene.

Doch der Grad zwischen technischer Perfektion und verklärendem Stilwillen ist schmal. Offenbar hat Struth dieses Problem zwar erkannt, weiß aber auch keinen Ausweg angesichts der sichtbaren Schönheit der Dinge, die auf seinen Fotos wieder sichtbar werden soll – selbst im Entertainment-Kitsch von Las Vegas oder in der Bergidylle des Yosemite Nationalparks.

Nirgends scheint Platz für Widerspruch, nirgends scheinen sich die sozialen Fallhöhen der US-Gesellschaft in der Natur spiegeln zu wollen. Die Highways sind aufgeräumt, die Autos sind frisch gewaschen, die Touristen freuen sich über den erhabenen Ausblick während ihrer Pause auf der Durchreise. Kein Zweifel, Struth fühlt sich wohl im Amerika der fließenden Übergänge zwischen Fantasy und Real Thing, wie er sagt: „Was wie ein kurioser oder auch entlarvender Gegensatz erscheinen könnte, ist in Wirklichkeit ein selbstverständliches Ineinandergleiten, ein homogenes Erlebnis, eine, wenn auch für das Wochenende herausgeputzte Bestätigung amerikanischer Identität auf ihrem Weg über die Grenzen nach Westen.“ Wenn sich diese zum Mythos gewordenen Landschaften überhaupt mit Erinnerungen besetzen lassen, dann hat Struth mit seiner malenden Fotografie dafür ein überzeugendes Pendant gefunden. Die Möglichkeiten der Kunst sind Teil der Natur. HARALD FRICKE

Bis 12. 4., Di.–Sa. 11 bis 18 Uhr; Galerie Max Hetzler, Zimmerstraße 89