MIETRECHTSREFORM VERNACHLÄSSIGT DIE STADT ALS WOHNORT
: Nur die Villa zählt

Mit der Mietrechtsreform erweist die Bundesregierung Millionen Mietern einen längst überfälligen Dienst. Der Dschungel aus Sondervereinbarungen und privaten Ansprüchen lichtet sich endlich. Zudem verspricht die Senkung der Kappungsgrenze und Kündigungsfristen mehr Gerechtigkeit und persönliche Freiheit. Schließlich zielt die Reform des Mietrechts auf die Gleichstellung von Familie und anderen Lebensgemeinschaften sowie gleichgeschlechtlichen Partnerschaften als Vertragspartner. Wohnen als soziale Dimension in Zeiten spekulativen Marketings wird gestärkt.

Einen Bärendienst erweist die Justizministerin mit dem neuen Mietrecht allerdings der Stadt als Wohnort. Der Staat entzieht sich in den letzten Jahren zunehmend der politischen Verantwortung, geförderten Wohnraum zu bauen und Sanierungen massiv zu unterstützen. Bleiben die privaten Investoren – die jedoch ein nicht kalkulierbares Risiko für Urbanität und die Mischung auf dem Wohnungsmarkt darstellen. Denn die Bevorzugung der Mieter minimiert den ökonomischen Spielraum. Investitionen im Wohnungsbau für alle städtischen Milieus bleiben darum auf der Strecke. Private Bauträger engagieren sich außerdem nur noch auf dem rentablen Wohnungssektor – für die Stadtvilla und die Eigentumswohnung ab 8.000 Mark pro Quadratmeter. Zu einer echten Reform wäre eine Strategie wohnungsbaupolitischer Instrumente und Förderungen in Verbindung mit dem neuen Mietrecht notwendig gewesen.

Hinzu kommt, dass der Wohnungsmarkt zu einem Euphemismus geworden ist: Es gibt ihn nicht mehr. Vor dem Hintergund, dass rund eine Million Wohnungen in der Republik leer stehen, droht Wohnungsbaugesellschaften und privaten Hausbesitzern der Ruin. Als Konsequenz denken Kommunen darum an „Flächensanierungen“ im Stil der 60er- und 70er-Jahre, also an Abrisse in großem Ausmaß. Städtischer Raum und seine Qualität verlieren an Wert und Bedeutung.

Das Fehlen wohnungsbaupolitischer Initiativen sieht man nicht nur in den Städten. Die Kehrseite der gleichen Medaille zeigt sich auf der grünen Wiese: Pendler wohnen in flächenfressenden Siedlungen; für sie bedeutet Wohnen Eigentum – und die Stadt eine Zumutung. Denn durch die anhaltende Stadtflucht werden in den Innenstädten bloß ein paar gut betuchte Mieter zurückgelassen.

ROLF LAUTENSCHLÄGER