Durch falsche Anzeigen zum Held werden

Immer wieder werden Straftaten vorgetäuscht. In den meisten Fällen ist es Versicherungsbetrug zwecks persönlicher Bereicherung. Doch auch Überfälle von Neonazis werden von angeblichen Opfern angezeigt. In Brandenburg gab es in diesem Jahr bereits drei solcher Fälle

von PLUTONIA PLARRE

Die Polizei spricht von Einzelfällen. Auch die brandenburgische Ausländerbeauftragte Almuth Berger hat nicht das Gefühl, dass sich entsprechende Vorfälle Besorgnis erregend häufen. Aber jeder einzelne Fall sei ein Fall zu viel, ist man sich einig. Die Rede ist von vorgetäuschten Straftaten. Genauer gesagt von Überfällen durch Neonazis und Skinheads, die bei der Polizei von angeblichen Opfern angezeigt werden, in Wirklichkeit aber nie stattgefunden haben.

In Brandenburg sind in diesem Jahr bereits drei vorgetäuschte Überfälle aktenkundig geworden. Beim jüngsten Vorfall tischte ein 30-jähriger Potsdamer innerhalb von zwei Wochen der Brandenburger und Berliner Polizei unterschiedliche Geschichten von rechten Übergriffen auf. Am 7. März gab er in Potsdam zu Protokoll, er sei kurz zuvor in der S-Bahn einem bedrohten Afrikaner zu Hilfe geeilt und daraufhin von vier Skinheads mit einem Messer verletzt worden. Nachdem er am 22. März aus dem Krankenhaus entlassen worden war, alarmierte er die Berliner Polizei wegen eines neuerlichen Übergriffs: Zwei Personen aus der rechten Szene seien in seine Berliner Zweitwohnung eingedrungen, hätten ihn mit einem Messer verletzt und die Räume verwüstet. Für den Berliner Staatsschutz, der dieses Mal ermittelte, war nach der Besichtung des Tatorts jedoch relativ schnell klar: Die Geschichte kann so nicht stimmen.

Oberflächliche Schnitte

„Eine verwüstete Wohnung sieht anders aus“, sagt der Referatsleiter für Rechtsextremismus beim Staatsschutz, Lothar Spielmann. Die einzigen Gegenstände, die nicht an ihrem Platz standen, waren die Stereoanlage und der Fernseher. Die Geräte waren offenbar vorsichtig auf den Boden gelegt worden – sie waren noch voll funktionsfähig. Eine Untersuchung der Schnittverletzungen durch einen Gerichtsmediziner zeigte, dass sie oberflächlich und glattrandig waren. Durch Fremdeinwirkung erlittene Wunden sähen anders aus, sagt Spielmann.

Mit dieser Beweislage konfrontiert, legte der Potsdamer schließlich ein Geständnis ab. Er gab zu, die Straftaten vorgetäuscht zu haben, um Aufmerksamkeit zu erregen. Seine Begründung: Seine Freundin habe ihn verlassen. Außerdem habe er finanzielle Probleme.

Den Mann erwartet jetzt einStrafprozess wegen Vortäuschung von Straftaten. Sein Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen, hat er jedoch erreicht. Nach dem angeblichen Skinhead-Übergriff in der S-Bahn war er für kurze Zeit ein Held. Eine Boulevardzeitung feierte ihn sogar mit Foto als Vorbild für Zivilcourage. Das Büro von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der Ausländerbeauftragten von Brandenburg, Almuth Berger, interessierten sich ebenfalls für ihn.

Nachdem die Polizei jedoch auf die Ungereimtheiten des Falles verwiesen hatten, verständigte man sich jedoch darauf, vor einer Würdigung des Mannes das Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten. Die Potsdamer Polizei war stutzig geworden, weil sich weder das vermeintliche Opfer noch ein einziger Tatzeuge aus dem voll besetzten S-Bahnzug gemeldet hatte.

Dass Menschen Straftaten vortäuschen, kommt immer wieder vor. 1999 wurden der Polizei in Berlin 1.044 solcher Fälle bekannt. Angesichts von rund 600.000 Straftaten, die in Berlin pro Jahr registriert werden, ist dies vergleichsweise wenig. In der Regel wird ein Versicherungsfall vorgetäuscht, um sich zu bereichern. Aber auch Ärger, Neid, Geltungssucht, Einsamkeit und Schulden, vor allem aber psychische Probleme sind wiederkehrende Motive. Die Mehrzahl der Täter sind männlich und über 21 Jahre alt. Bei Kindern und Jugendlichen kommt es gelegentlich auch vor, dass sie aus Angst vor den Eltern oder Lehrern einen Überfall erfinden.

Dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zum Vorwand für eine angebliche Straftat genommen werden, hat der Staatsschutzbeamte Spielmann bislang nur selten erlebt. Der letzte Fall, an den er sich erinnern kann, ist der einer 29-jährigen aus Guatemala stammenden Deutschen. Die Frau hatte im August 2000 angezeigt, dass sie auf dem Heimweg nach einem Kneipenbesuch im Ostberliner Bezirk Friedrichshain von zwei Skinheads bewusstlos geschlagen worden sei. Wie sich später herausstellte, hatte die Frau die Geschichte nur erfunden, um ihrem Ehemann zu erklären, wo sie die Nacht verbracht hatte.

In Erinnerung ist auch der Fall einer 20-jährigen Berlinerin, die sich im April 1994 ein Hakenkreuz in den Bauch geritzt und anschließend einen Überfall vorgetäuscht hatte. Auch hier hatte die gerichtsmedizinische Untersuchung der Wunde gezeigt, dass die Frau sich diese selbst beigebracht haben muss. Bei ihrem Geständnis sagte sie, sie habe sich wegen einer familiären Angelegenheit ein Alibi verschaffen wollen. Angeregt worden war sie offenbar durch den spektakulären Fall in Halle: Dort hatte sich wenige Monate zuvor eine Rollstuhlfahrerin ein Hakenkreuz in die Wange geritzt, um einen Neonazi-Überfall vorzutäuschen.

Aufmerksamkeit fehlt

Eine generelle Erklärung für solche Taten gibt es nicht. Jeder Fall sei anders gelagert, sagt Spielmann. Nicht selten hätten die Täter aber große psychische Probleme: „Man glaubt gar nicht, wie viele Verwirrte es auf der Welt gibt.“ Eine schlecht geschlafene Nacht könne ebenso der Auslöser sein wie ein Artikel in der Zeitung. Der Berliner Gerichtspsychiater Werner Platz hält „das Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu erwecken“, für einen der wesentlichen Beweggründe für vorgetäuschte Straftaten: „Aufmerksamkeit im Sinne von Zuwendung“ (siehe Interview).

Im Fall einer 33-jährigen Malayserin hatte in Brandenburg zeitweise eine fünfzigköpfige Sonderkommission ermittelt. Die Frau hatte Ende Januar angezeigt, in ihrem Wohnort in Schildow von Neonazis entführt und später wieder in die Garage ihres Hauses zurückgebracht worden zu sein. Nach langen Ermittlungen soll das Verfahren gegen Unbekannt jetzt eingestellt werden. Die Spurenuntersuchung decke sich nicht mit den Angaben der Frau, sagt Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher. Er geht davon aus, dass die Frau die Tat erfunden hat, dies aber nicht zugeben werde. Als Grund wird eine persönliche Lebenskrise der mit einem Mitarbeiter des Außenministeriums verheirateten Malayserin vermutet.

Warum das Thema Rechtsextremismus zum Vorwand genommen wird, liegt für die Ausländerbeauftragte Berger auf der Hand. „Wer von Rechten angegriffen wird oder einen Angriff auf andere abwehrt, kann sicher sein, dass er in die Medien kommt.“ Dass solche vorgetäuschten Taten zur Folge haben, dass sich weniger Leute gegen rechts engagieren, glaubt Berger nicht. Wer dazu wirklich bereit sei, werde sich durch einen vereinzelten Missbrauch nicht abhalten lassen. „Schließlich gibt es genug Fälle, wo es wirklich so ist.“