Linsen ohne Spätzle

Stuttgarts Profis fehlt das Verständnis für den Ernst der Lage. Gegen Köln verliert der Abstiegskandidat mit 0:3

STUTTGART taz ■ Die Marketingabteilung des VfB Stuttgart hatte sich was einfallen lassen. Die Zuschauer wurden mit verbilligten Familientickets ins Daimlerstadion gelockt. Und allen wurden noch Aufkleber in die Hände gedrückt. Mit knackigen Slogans, ganz in Rot. Darauf war zu lesen: „Stuttgart ohne 1. Bundesliga ist wie Linsen ohne Spätzle!“ Oder: „Stuttgart ohne Bundesliga ist wie Mercedes ohne Benz!“ Und vor allem: „Stuttgart muss erstklassig bleiben!“

„Das Wetter war gut, die Atmosphäre war toll, nur das Spiel . . .“, erklärte Stuttgarts Trainer Felix Magath. Da kamen endlich mal 33.000 Zuschauer – und dann dieses Desaster: 0:3 gegen einen Aufsteiger.

Sie brachten nichts, all die netten Ideen der Marketingstrategen. Im Stich gelassen wurden sie vom kickenden Personal. „Scheißmillionäre“, brüllten die Fans. Und vermutlich wird sich kein Zuschauer in den nächsten Tagen lächerlich machen wollen; die Aufkleber werden im Papierkorb landen und nicht auf den Hecks der Daimlers. Irgendwie kann man die ganze Werbeaktion auch so interpretieren: Im Abstiegskampf braucht es den zwölften Mann um so mehr, weil die elf auf dem Platz das drohende Unheil nicht abwenden können. Zvonimir Soldo erklärte: „Vielleicht haben wir auch nicht die Qualität?“

Soldo hat die Frage mangelnder Qualität in dieser Saison schon einmal gestellt, allerdings fühlte sich niemand angesprochen. Die Bedenken wurden kaum ernst genommen. Dabei trifft Soldos Analyse den Kern: Selbst bei völligem Ausschöpfen des Potenzials wäre der VfB nicht besser als Rang zehn. Ohne die Grenzerfahrung ist Platz 17 eben folgerichtig. Und wenn Jens Keller, Kölner und Ex-Stuttgarter, sagt, es sei „völlig unglaublich“, dass der VfB so weit unten gelandet ist, dann ist das Mitleid, nicht fachkundige Analyse.

Mitleid. Das ist so ein Wort, das Manager Rolf Rüssmann in Rage bringt, weil er kein Freund von Entschuldigungen und wachsweichen Versagensgründen ist. Rüssmann vermisst bei so manchem Spieler „die nötige Ernsthaftigkeit, die Einstellung im Abstiegskampf“. Es sind Kleinigkeiten, an denen er das fest macht. Genauer gesagt – an Millimetern. Es sei „ungeheuerlich“, polterte Rüssmann, dass sich jemand Profi nennt, aber mit Noppenschuhen aufläuft, und dann „schon nach zwei Minuten auf den Arsch fällt, weil er im tiefen Rasen keinen Stand hat“.

Rüssmann, der als Vorstopper in Schalke und Dortmund „immer mit 18 Millimetern“ gespielt hat, zieht es die Schuhe aus, wenn Kristijan Djordjevic die sanfte Besohlung damit begründet, er fühle sich so „wohler“. Auf das Wohlgefühl der Spieler will und kann Rüssmann aber keine Rücksicht mehr nehmen: „Abstiegskampf heißt nicht Ballettschühlein, sondern Schraubstollen, sechzehn Millimeter lang, und dann raus, volles Brett gegen alle.“

Jetzt ist es freilich übertrieben, das Wohl und Wehe des VfB Stuttgart an sechs Millimetern festzumachen. Doch Rüssmann wollte damit beispielhaft Grundsätzliches erläutern: „Abstiegskampf muss man verstehen“, sagte der VfB-Manager. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass das Gros der VfB-Kicker dies noch nicht verstanden hat. Woher die Spieler auch immer die Sicherheit nehmen, es könnte den VfB Stuttgart quasi naturgesetzlich nicht treffen.

Felix Magath kennt solch missliche Situationen ja zuhauf. Doch was er bei seinen bisherigen Missionen bei abstiegsbedrohten Clubs nie ausmachte, war ein Defizit an Einstellung. „Die Spieler denken: Wir schaffen das schon“, erklärt Magath, „das ist nicht die Stimmung, die man braucht.“ Es ist geradezu fahrlässig. Sieben Spiele sind es noch, und selbst bei vier Siegen käme der VfB nicht einmal auf die von allen Abstiegskandidaten anvisierte Punktzahl (40). Magath fordert von seinen Spielern deshalb „das Bewusstsein, absteigen zu können“.

Wenn sich dies Bewusstsein nicht schnellstens einstellt, müsste die Marketingabteilung ihre Werbestrategie ändern. Vielleicht so: Kommen Sie zum VfB, kommen Sie ins Stadion – denn es ist die letzte Chance, noch einmal Bundesliga-Fußball zu sehen! THILO KNOTT