Der Gefangene

von RÜDIGER ROSSIG

Für große Worte war Slobodan Milošević immer gut: „Ich werde nicht lebendig ins Gefängnis gehen!“, zitierten die serbischen Medien den Exstaatschef am Samstag. Doch die allermeisten Menschen in Serbien wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Polizei die Villa des ehemaligen starken Mannes von Belgrad umstellte.

Die politische Karriere von Slobodan Milošević ist zu Ende – und bis auf die paar hundert Anhänger, die für den ehemaligen Kommunistenchef, serbischen und jugoslawischen Präsidenten demonstrierten, dürfte das auch kaum noch irgendwer bezweifeln. Milošević hat es sich in den knapp 13 Jahren seiner Herrschaft mit allen verdorben: mit seiner Bevölkerung, der er einst große Zeiten versprach, um Serbien dann in ein Armenhaus zu verwandeln; mit den Großmächten, die ihn so lange als „Friedens- und Stabilitätsfaktor auf dem Balkan“ priesen, bis er sie einmal zu viel belog; und zuletzt mit seinem eigenen kommunistischen Apparat.

1984 stieg der Jungfunktionär Slobodan Milošević aus Požarevac zum Chef der KP Belgrads auf. Seine erste große Amtshandlung sollte ein Prozess gegen eine Gruppe Belgrader Dissidenten werden. Das Ganze schien eine sichere Nummer zu sein: Die Aktion war von der Staatssicherheit eingefädelt worden. Trotzdem erklärte der zuständige Richter die Angeklagten für unschuldig. Der Jurist hatte erkannt, dass der Kommunismus bröckelte; Milošević nicht. Er verlor.

Seine nächste große Chance erhielt Milošević im April 1987. Sein Förderer, der damalige serbische Parteichef Ivan Stambolić, schickte ihn in die südserbische Ortschaft Kosovo Polje. Dort stand der Belgrader Parteichef zum ersten Mal in seinem Leben vor einer aufgebrachten Menschenmenge. Einige hundert Kosovo-Serben beschwerten sich wütend über ihre schlechte soziale Lage; sie würden von der albanischen Mehrheitsbevölkerung aus dem Kosovo verdrängt.

War es die wütende Menge, die ihn dazu trieb, jene Worte auszusprechen? Oder hatte der Mann aus Požarevac begriffen, dass man die Menschen im vom Wirtschaftskrise und Hyperinflation gebeutelten Jugoslawien der Achtzigerjahre nicht mehr mit Parolen à la „Einheit und Brüderlichkeit“ beruhigen konnte? Fest steht, dass er mit seinem Satz „Niemand hat das Recht, euch zu schlagen!“ als erster Kommunist eine klar nationalistische Parole benutzte.

Im September 1987 entledigte er sich über eine Palastrevolte seines Freundes Stambolić und übernahm dessen Amt. Kurz danach begannen seine Getreuen, alle wichtigen Positionen in den serbischen Massenmedien zu besetzten. Ein Jahr später was Milošević das Thema in ganz Jugoslawien. In den anderen Republiken der Jugoslawischen Föderation fing man an, sich zu fragen, was in Belgrad vor sich ging. Als Reaktion auf den neuen Ton aus Serbien begann nun auch anderswo in Jugoslawien die Konjunktur des Nationalen.

Tatsächlich war Milošević nie ein gläubiger Nationalist. Er verstand es, nationalistische Mythen für seine eigenen und die Ziele seiner Klientel zu instrumentalisieren.

Paradoxerweise glaubten die westlichen Friedensstifter lange, Milošević zu brauchen. Tasächlich versuchte er bereits 1993, die bosnischen Serben zu einem Friedensplan zu überreden. Nur hatten auf der dortigen politischen Szene mittlerweile echte, gläubige Nationalisten die Macht übernommen, die Belgrad nicht mehr kontrollieren konnte. Erst zwei Jahre später konnte Milošević für die bosnischen Serben den Friedensvertrag von Dayton unterschreiben. Milošević zog seine Lehren aus den Niederlagen: Er begrub alle gesamtjugoslawischen Pläne und konzentrierte sich nun ganz auf die Erhaltung seiner Macht in den Republiken Serbien und Montenegro.

Doch auch dort organisierte sich mittlerweile Widerstand. 1996 verloren Milošević’ mittlerweile in Sozialisten umbenannte Kommunisten die Wahlen in mehreren großen Städten des Landes. Als das Regime sich weigerte, die Wahlergebnisse anzuerkennen, gingen die Serben zu Hunderttausenden auf die Straße. Im Frühjahr 1997 musste der Apparat nachgeben: Der heutige serbische Premier Zoran Djindjić ließ als erster nichtkommunistischer Bügermeister der Hauptstadt Belgrad seit 1945 den roten Stern vom Rathhaus holen.

Meldungen über angebliche Übergriffe der Albaner im Kosovo wurden forciert, um den Aufbau weiterer Truppen zu rechtfertigen. Unabhängige Medien verbreiteten gar die Nachricht, der Belgrader Staatssicherheitsdienst rüste dort eine albanische „Kosovo-Befreiungsarmee“ aus, um die Unruhe anzuheizen. Doch diesmal funktionierte das „System Milošević“ nicht. Statt sich wie in Kroatien und Bosnien auf lange Debatten, gebrochene Versprechen und nicht eingehaltene Waffenstillstände einzulassen, bombardierte das westliche Militärbündnis Nato Serbien und Montenegro drei Monate lang. Das UN-Kriegsverbrechertribunal erhob Anklage gegen den Staatschef. Am Schluss musste Milošević einlenken. Das Kosovo war verloren. Die politische Karriere Milošević’neigte sich ihrem Ende zu.

Ihr Ende kam am Abend des 5. Oktober vergangenen Jahres. Slobodan Milošević erklärte im serbischen Fernsehen, er erkenne die Wahl Vojislav Koštunicas zum jugoslawischen Präsidenten an. Zuvor hatten Hunderttausende Demonstranten das jugoslawische Parlament in Belgrad gestürmt. Nachdem das geschehen war, wurde es ruhig um Milošević. In den Medien ließ er verlauten, er sei ganz glücklich, von der Bürde des höchsten Staatsamts befreit zu sein, und wolle sich nun in erster Linie seinem Enkel widmen.

Der 5. Oktober markiert das Ende der politischen und der gestrige Tag den Beginn der juristischen Karriere Milošević’. Um fünf Uhr morgens traf der ehemalige starke Mann von Belgrad im Zentralgefängnis der serbischen Hauptstadt ein. Bislang ohne große Worte.