Milošević sitzt. Kommt er weg?

Bei der Verhaftung Miloševic’ war sich das brüchige Regierungsbündnis DOS noch einmal einig. Eine Auslieferung nach Den Haag aber ist umstritten

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Die Festnahme von Slobodan Milošević stellte wieder einmal die Einigkeit der in Serbien regierenden Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) auf die Probe. Die spektakuläre Aktion der Polizei wurde von der serbischen Regierung und dem serbischen Innenministerium geplant, die Bundesregierung, Jugoslawiens Präsident Vojislav Koštunica und der Generalstab waren daraus allem Anschein nach ganz ausgeschlossen.

Noch Freitagnachmittag wollte die Polizei Milošević die Gerichtsvorladung überreichen und ihn zum Untersuchungsrichter abführen. Die Soldaten der Garde, die die Villa bewachten, ließen jedoch die Polizisten nicht passieren. Als sie nach zwölf Stunden endlich abkommandiert wurden, übergaben die Soldaten die Schlüssel nicht der Polizei, sondern Milosevic’ Leibgarde.

Spekulationen blühten: Die einflussreiche Belgrader Tageszeitung Politika schrieb unter Berufung auf eine „hundertprozentig zuverlässige“ Quelle aus dem serbischen Justizministerium, dass Generalstabschef Nebojsa Pavković die Verhaftung von Milošević am Freitag im letzten Augenblick verhindert hätte – auf den Befehl „eines viel Mächtigeren“. Gemeint war Präsident Koštunica.

Der jugoslawische Innenminister Zoran Zivković, in der Demokratischen Partei (DS) Stellvetreter des DS-Vorsitzenden und serbischen Regierungschefs Zoran Djindjić, sprach von einem „kleinen Militärputsch“. Es sei ganz sicher kein Missverständnis gewesen, meinte Zivković verärgert, sondern der Versuch eines Teils der Armee, „immer noch eine politische Rolle im Staat zu spielen“. Auch Premier Djindjić und der serbische Innenminister Dusan Mihajlović sprachen von einer „Obstruktion der Armee“. Er habe mit Koštunica gesprochen, meinte Djindjić am Samstag, der Präsident hätte das legale Vorgehen des serbischen Innenministeriums akzeptiert.

Noch einmal konnten sich die Führer der brüchigen DOS über die Festnahme von Milošević gerade noch rechtzeitig einigen, um „eine Staatskrise zu verhindern“, wie es in der gemeinsamen Erklärung steht.

Der Streit innerhalb der DOS über die Auslieferung von Milošević an das Haager Kriegsverbrechertribunal steht jedoch erst bevor. Bundespräsident Koštunica, der weitaus populärste Politiker in Serbien, ist entschieden dagegen, der im Volk unbeliebte serbische Premier Djindjić, der mittlerweile die Macht in Serbien weitgehend an sich gerissen hat, hat gegen die Zusammenarbeit mit dem Tribunal nichts einzuwenden.

Im sozial völlig ruinierten Land, das über ein Jahrzehnt lang der gröbsten Milošević-Propaganda über das „heilige Serbentum“ und nationalen Stolz ausgeliefert war, ist es für die Stabilität ausgesprochen wichtig, dass Milošević zuerst der Prozess vor einem einheimischen Gericht gemacht wird, für Straftaten, die er in Serbien begangen hat.

Am 31. März lief das von der US-Administration gesetzte Ultimatum für Serbien aus, entweder mit dem Haager Tribunal zusammenzuarbeiten oder auf finanzielle Unterstützung Amerikas zu verzichten. Belgrad hofft nach der Festnahme von Milošević seinen guten Willen bewiesen zu haben und auf das Verständnis der internationalen Gemeinschaft, dass es die volle Zusammenarbeit mit dem Tribunal nicht sofort aufnehmen kann.

Die Anklage in Serbien gegen Milošević lautet auf Amtsmissbrauch, Veruntreuung und nach Artikel 26 des Strafgesetzes auf Organisation im Ziele der persönlichen Bereicherung, also organisiertem Verbrechen. Sollte es während des Prozesses Hinweise geben, dass Milošević in Verbrechen gegen die Menschlickeit verwickelt war, würde sich das Haager Kriegsverbrechertribunal einschalten, meinte der serbische Justizminister Vladan Batić.

Innenpolitisch will die serbische Regierung unbedingt den Eindruck hinterlassen, die Festnahme von Milošević nicht im Auftrag oder unter dem Druck des Weißen Hauses durchgeführt zu haben. So wird die Auslieferung Milošević’ nach Den Haag wahrscheinlich noch monatelang auf sich warten lassen.