Kanak-Filmsprak oder Verdunstung?

■ In der Reihe „Lebensbilder“ zeigt das Abaton morgen „Kanak Attack“ und lädt anschließend zum Gespräch mit Autor Zaimoglu und Regisseur Becker

Auf polynesisch heißt Kanake „Mensch“, auf deutsch „Untermensch“, auf kanakisch – lässt sich das nicht mehr so einfach sagen. Geht es um ein „Lebensbild“? Oder um seine Subversion? Oder nur um Markenbildung? Wenn Lars Be-ckers Film nicht unter dem Titel der Vorlage von Feridun Zaimoglu firmiert (Abschaum), sondern unter dem Label „Kanak“, dann hat dieser Begriff schon eine Reihe von Verschiebungen hinter sich. Das ist verwirrend, steht er doch selbst für eine Praxis der Verschiebung.

Die Strategie ist bekannt: eine Politik des Begriffs. Ausgegrenzte drehen den Spieß um, nehmen Ausgrenzern das Wort aus dem Mund und eignen es sich an, indem sie sich selber niggers, Krüppel, Kanaken nennen. Doch auch ein umgestülptes Stigma blutet: Soziale Verhältnisse sind so noch nicht verändert – aber im Visier, denn das Manöver hält am Unterschied fest und somit an der Notwendigkeit des Widerstands. Der differentielle Anti-Begriff „Kanakster“ soll nun aber nicht selbst wieder einseitig gefüllt werden.

In Kanak Sprak hatte Zaimoglu 1995 den Essentialismus einer solchen Gegen-Leitkultur verhindert durch die Vielstimmigkeit der wiedergegebenen Statements übers Kanak-Leben in Deutschland, durch die sprachliche Stilisierung im Kunstjargon. Darauf verzichtet Abschaum 1997, täuscht dafür durch monotone Reihung und türkische Einsprengsel Protokollcharakter vor. Hinter dem Ich des plaudernden Provinzgangsters Ertan Ongun tun sich Leerstellen auf. Beckers Verfilmung riskiert nun, genau diese durch Identifikationsmuster zu füllen. Sie bringt die Episoden zwischen Kiel und Istanbul, zwischen Familientreffen und Raubüberfall in lineare Chronologie, macht Ertan zum coolen Proto-Kanakster, den Luk Piyes mit adäquat arrogantem Silberblick spielt: Typ liebenswerter Brutalo Mitte 20, ein Drogenhändler, Beinahezuhälter. Paranoid und gefühlskalt. Aber eben auch charmant und mutig: Der Anti-Held als Held.

Ertans launige Verbalakrobatik ist weit entfernt von den bildreichen Manierismen der Kanak Sprak, das emanzipative Potential droht in die Unterhaltsamkeit einer Gangsterkomödie zu verdunsten. Die ist zwar temporeich inszeniert und frech geschnitten – aber attackiert sie so gewohnte Zuschreibungen? „Ich geb Dir reinen Stoff. Du bist mein Dealer. Geh und verkauf das Zeug.“, habe Ertan zu ihm gesagt, so Zaimoglu im Nachwort. Die Story als Rauschware: Ob Kanak Attack diese Metapher ein-, die Differenz aber auflöst, kann man Zaimoglu und Becker morgen Abend nach dem Film im Abaton selbst fragen.

Jakob Hesler

morgen, 20 Uhr + 10.4., 22.30 Uhr, Abaton; Kanak-Attack und Leitkultur – Deutsch-türkische Provokation, eine Veranstaltung mit Feridun Zaimoglu: 5.4., 19 Uhr, Katholische Akademie