Marlowe goes Kanak

Hard-boiled wie immer, aber von noch feinerem Humor: Jakob Arjouni liest heute aus seinem neuen Krimi „Kismet“  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Kemal Kayankaya hat einen Freund: Slibulsky. Bevor er mit italienischen Eiswagen das große Geld machte, war der unter anderem „Leibwächter eines Kommunalpolitikers. Der hatte zwar von niemandem etwas zu befürchten, führte aber seinen Wahlkampf unter dem Motto 'Gegen tägliche Gewalt auf unseren Straßen – ich greife durch' und schleppte Slibulsky quasi als umgekehrten Beweis für die von ihm beklagten Zustände mit sich durch die Wahlveranstaltungen. Im Stadtteil, in dem er kandidierte, gipfelte die Kriminalität in auf den Bürgersteig fallen gelassenen Kaugummipapierchen, und das Gewalttätigste, was sich auf den Straßen abspielte, waren bellende Pudel und meckernde Rentner.“

Das sind Sätze, die kennt, wer seit 1987 die Krimis von Jakob Happy Birthday, Türke Arjouni gelesen hat. Und wer bei solchen Sätzen nicht zum Fan wird, dem ist nicht zu helfen. Doch Arjounis neueste Kayankaya-Geschichte ist viel mehr als eine übliche Kayankaya-Geschichte. Arjounis Privatdetektiv wurde oft und zu Recht mit Raymond Chandlers Philip Marlowe verglichen. Der Schnüffler aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel konnte es von Beginn an an Coolness, Derbheit und Kaltschnäuzigkeit mit dem Vorbild von der amerikanischen Westcoast aufnehmen. Und niemand musste Frankfurt kennen oder im hessischen Dialekt seine ersten Worte genuschelt haben, um die mundartlichen Dialoge zu verstehen und sich ihretwegen vor Lachen aus dem Fenster zu werfen.

Doch wer Arjounis jüngsten Kayankaya-Roman Kismet in die Finger bekommt, wird verstehen, warum der Vergleich mit Chandler nicht nur immer richtig war, sondern jetzt behauptet werden kann, er habe den Ami und sich selbst übertroffen. Wurde in Happy Birthday, Türke! noch gesoffen, gekotzt, gepinkelt und geblutet, was das Zeug hielt, und eiferte Kayankaya, was den Machismo anging, Marlowe oft zu eifrig nach, so sind Detektiv und Sprache inzwischen sichtbar gereift. Mit derselben Direktheit, doch zugleich viel subtiler und deswegen noch um einiges humorvoller ist festgehalten, wie es Kayankaya im Jahr der letzten Fußball-WM mit einer geheimnisvollen Schutzgeld-erpresserbande aufnimmt.

Romario, Besitzer einer schlecht laufenden brasilianischen Kneipe im Bermudadreieck zwischen Frankfurter Hauptbahnhof, Oper und Dresdner Bank-Gebäude, hat Kayankaya um Hilfe gebeten. Dass der mit Unterstützung von Slibulsky und einigen Handfeuerwaffen die weiß geschminkten, mit blonder Perücke ausgestatteten und stummen Schutzgelderpresser gleich erschießen würde, war nicht im Plan. Ohne Auftrag, mithin ohne Bezahlung, versucht Kayankaya daraufhin, die Identität der geheimnisvollen Gangster zu ermitteln. Wer bei dieser Mafia zuerst an Albaner oder Türken denkt, hat noch nie einen Arjouni gelesen. Und wer glaubt, die Leserin müsste sich noch Sätze gefallen lassen wie „Der Abend war verlaufen wie erwartet. Wir sprachen über Autos, die wir nicht bezahlen, und Frauen, die wir nicht beschlafen konnten.“, der hat Arjouni unterschätzt.

Doris Dörrie gelang es 1992 tatsächlich, in ihrem Happy Birthday, Türke! die Vorlage Arjounis nicht nur hervorragend filmisch umzusetzen, sondern dem Detektiv mit Hansa Czypionka derart zu besetzen, dass er eine zusätzlich melancholische Note bekam und für den weiblichen Teil der Zuschauer erträglicher wurde. Arjouni wird heute Abend nach seiner Lesung eine Einleitung zu dem Film geben.

Lesung: heute, 20 Uhr; Happy Birthday Türke: 21.30 Uhr, Abaton

Jakob Arjouni: Kismet, Diogenes 2001, 272 S., 36,90 Mark