„Ich habe Angst, dass die Gewalt zunimmt“

Miroslawa Gongadse, die Witwe des Journalisten Georgi Gongadse, über Politik, Verbrechen und ihre eigene Rolle in der Ukraine

taz: Ihr Mann ist unter mysteriösen Umständen ermordet worden. Es gibt Hinweise auf eine Mitverantwortung von Staatspräsident Kutschma und des jetzt zurückgetretenen Innenministers. Ist der Tod Ihres Mannes zum Katalysator der politischen Ereignisse in der Ukraine geworden?

Miroslawa Gongadse: Ja. Unsere Probleme sind dadurch offensichtlich geworden. Doch sie existieren schon lange. Der Tod von Georgi war ein Test für den Grad an Freiheit. Es wurde immer gesagt: Solange er sich noch nicht verkauft hat, noch nicht zu den Oligarchen übergelaufen ist, sind wir noch lebendig, können wir noch frei atmen. Nach dem Mord sagte mir eine Journalistin: Für dich ist das ein persönliches Problem, aber für uns steht der Beruf auf dem Spiel. Ich habe geantwortet: Solange das für euch nicht zu einem persönlichen Problem wird, könnt ihr die Sache nicht richtig verstehen. Es wurde ein Kollege umgebracht. Das ist das persönliche Problem eines jeden Journalisten.

Wer steht Ihrer Meinung nach hinter diesem Mord?

Genau auf diese Frage sollen die Ermittlungen eine Antwort geben, die effektiv geführt werden müssten. Wenn die Staatsmacht unschuldig sein sollte, müsste sie daran interessiert sein. Aber die ganze Vorgehensweise zeugt bis jetzt eher vom Gegenteil.

Derzeit demonstrieren die Menschen regelmäßig. Wie wird es weitergehen?

Schon haben in Lviv die Hochschulen und Institute gestreikt, denn viele Studenten wurden unrechtmäßig verhaftet. Ich glaube, dass die Proteste weitergehen werden und die Gewalt zunehmen wird. Davor habe ich große Angst. Und zwar deshalb, weil ich keine weiteren Opfer, keine Tränen will. Ich habe Angst, dass tausend eine Revolution machen, aber Millionen leiden werden.

Denken Sie jetzt anders über Politik als früher?

Bei mir hat sich die Sichtweise auf das Leben und den Tod geändert. Was Politik ist, wusste ich schon lange. Ich habe aber noch besser verstanden, dass das alles Zynismus ist. Verschiedene Kräfte versuchen dauernd, mich zu benutzen. Die Leute interessiert nicht, was bei mir im Inneren vorgeht.

Verschließen Sie sich oder fragt niemand nach Ihrem inneren Zustand?

Ich glaube, das will keiner wissen. Vielleicht will ich selbst auch nicht, dass man mich schwach sieht. Denn in dieser Welt gewinnen die Starken, und schwach zu erscheinen bedeutet nur, gebrochen zu erscheinen.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL