Wohin nur mit all den toten Tieren?

Die Entsorgung der MKS-Opfertiere bereitet den Briten Probleme. Tourismus und Handel leiden bereits

DEVON taz ■ Der britische Landwirtschaftsminister Nick Brown gab gestern eine Erklärung ab, die angesichts der Wahlverschiebung wegen des nationalen Seuchennotstandes sehr gewagt klingt: „Wir haben die Epidemie unter Kontrolle.“ Sein Optimismus gründet sich darauf, dass am Sonntag nur 21 Bauernhöfe neu von der Seuche befallen wurden, in den Tagen zuvor waren es jeweils 40 bis 50.

Von einer Entwarnung kann jedoch keine Rede sein. Insgesamt sind rund 900 Höfe betroffen, 940.000 Rinder und Schafe sind bereits getötet worden oder stehen auf der Warteliste. Von dem Ziel, ein Tier innerhalb von 24 Stunden nach Diagnose der Krankheit zu töten, ist man ebenfalls weit entfernt. Die Regierung hat die Armee zur Aushebung der Gräber herangezogen, Armeemechaniker reparieren die Bolzenschussgeräte, die aufgrund der Überbeanspruchung versagen.

Die Massentötung der Tiere gerät indes immer stärker in die Kritik von Bauern. Auch Prinz Charles sagte, es sei verrückt, gesunde Tiere umzubringen. Der Tierschutzbund jedoch lobte die Aktion: „Es ist ein bisschen inkorrekt, zu behaupten, dass diese Tiere gesund sind“, sagte dessen Pressesprecher Chris Laurence.

Die britische Regierung ist inzwischen von ihrem Plan abgerückt, begrenzte Impfungen durchzuführen, um eine Pufferzone zwischen infizierten und gesunden Gebieten zu schaffen. Der Bauernverband lehnt das ab, weil England dann auf absehbare Zeit keinen seuchenfreien Status wiedererlangen könnte. Damit wäre der Exportmarkt, der 1,3 Milliarden Pfund im Jahr wert ist, für Jahre zerstört.

Auch für andere Industriezweige, vor allem Tourismus und Sport, sind die Folgen der Seuche schmerzhaft. Der bereits verschobene Renntag in Cheltenham, eines der berühmtesten Pferderennen der Welt, musste am Sonntag endgültig abgesagt werden, nachdem auf einem acht Kilometer entfernten Hof die Seuche ausgebrochen ist. Wirtschaftsfachleute prophezeien, dass die Seuche und die Rezession in den USA sowie in Japan das Wirtschaftswachstum um ein Prozent verringern werde. Die Zahl der Arbeitslosen, die im März zum ersten Mal seit fünfundzwanzig Jahren unter eine Million gefallen war, werde diese magische Grenze wohl innerhalb weniger Wochen wieder durchbrechen.

Darüber hinaus kommen auf die Regierung erhebliche Umweltprobleme zu. Umweltschutzorganisationen haben gewarnt, dass die riesigen Tier-Scheiterhaufen, die im ganzen Land brennen, zu schweren Luftverschmutzungen führen können. Kerosin und Diesel, die als Brennmaterial verwendet werden, pumpen tödliches Dioxin in die Atmosphäre. Die Regierung bestellte am Samstag ein Umweltgutachten, Nick Brown ordnete am selben Tag an, getötete Rinder unter fünf Jahren und Schafe in der Erde zu vergraben. Auch das ist riskant, weil dadurch das Trinkwasser verseucht werden könnte, zumal niemand weiß, ob sich unter den getöteten Rindern nicht auch welche befinden, die vom Rinderwahnsinn BSE befallen sind. David Manning von Nanovapor Systems, einem Unternehmen, das sich weltweit um Umweltprobleme kümmert, sagte: „Wir häufen massive Probleme für unsere Kinder und deren Kinder an.“

Im walisischen Eppynt demonstrierten am Sonntag hundert Bauern gegen ein geplantes Massengrab für infizierte Tiere auf einem Schießplatz der Armee, das heute in Betrieb genommen werden soll. Die Bauern befürchten, dass sich die Seuche dadurch in der Gegend ausbreitet. Einer der Demonstranten entwendete einen 50 Tonnen schweren Schaufelbagger und zerquetschte damit einen Polizeiwagen. Es dauerte zwei Stunden, bis der verletzte Fahrer aus seinem Auto geborgen werden konnte.

Während überall in Britannien Gräber für die getöteten Tiere ausgehoben werden, buddelt man sie in Cheshire wieder aus. Bauarbeiten für eine Umgehungsstraße förderten die Kadaver von sechzig Rindern zutage, die 1967 bei der letzten großen Epidemie dort vergraben worden waren. RALF SOTSCHECK