Die Benimmbibelautorin

Für den Boulevard repräsentiert sie als virtuelle Clubdiva mit Kinderstube das junge, aufregende Berlin, für das real existierende Hipster-Dorf Mitte verkörpert sie alles, was man an Hamburg, München oder Sankt Moritz immer verachtet hat: Ariane Sommer hat die große Gabe, zu polarisieren

von CORNELIUS TITTEL

Das Girl neben mir, Ariane Sommer, ist einfach fabelhaft. Sie versteht genau, was Sie wollen. Jeder Kolumnist in Berlin könnte Ihnen sagen, wer sie ist – eine Berühmtheit in Berlins neuer Jet-Set-Ära. Ariane im Stern, Ariane in der Bunten, Ariane bei Schmidt, Ariane bei „Exclusiv“ im RTL Weekend, Ariane im 90°. Ariane Sommer ist – nun, wie soll man es in Worte fassen?

Ariane Sommer ist das Girl des Jahres, die neue Berühmtheit, der Shootingstar, und ich sitze neben ihr in einem mintmetallicfarbenen BMW Z3. Das Leben kann so aufregend sein, denke ich, während es gen Westen geht, so unglaublich mintmetallic. Sie spricht in ihr nagelneues Handy, das eben beim Dreh für „ntv lebensart“ vom Hausmeister in höchsten Tönen gelobt wurde. „Die Besten, die es gibt“, rief er ihr zu, den Blick auf alles, nur nicht auf ihr Handy gerichtet. „Da wissen Sie mehr als ich“, entgegnete sie. „Für mich sind die Dinger reine Gebrauchsgegenstände.“

Nun, auf der Fahrt Richtung Savignyplatz, muss eine Dame von der Münchener Abendzeitung vertröstet werden; mehr als im Spiegel stehe, könne sie zur Zeit nicht bestätigen, nur so viel: Die von Brainpool produzierte „Ariane Sommer Late Night Show“ komme definitiv.

Wenn man sie fragt, wieso in aller Welt gerade sie für eine derart flächendeckende Medienhysterie sorge, lacht sie laut und tief, rückt ihre rosa Sonnenbrille zurecht und formt mit ihren airbrushartig nachgezogenen Lippen diesen unvergleichlichen Sommer-Mund. „Du“, sagt Ariane. Und dann: „Ehrlich du, frag mich was Leichteres.“

Nicht nötig, denn eigentlich, da ist sie Profi und Diplomatentochter genug, weiß sie auf die schwersten Fragen eine Antwort, nicht umsonst hat sie 50 Interviews in den letzten drei Wochen gegeben. Zur rechten Zeit am rechten Ort sehr wenig angehabt zu haben, lacht sie, habe jedenfalls nicht geschadet. „Die Leute haben schon immer extrem auf mich reagiert, das ist es, was Harald Schmidt meinte, als er nach der Sendung sagte: Du hast die große Gabe zu polarisieren, unterschätze das nie.“

Ich schaue aus dem Fenster, während ihre Charme-Offensive ins Rollen kommt, und muss an Freunde und Bekannte denken, die bei der bloßen Erwähnung von Ariane Sommer ein unangenehmes Gefühl überkommt. Polarisieren heißt in ihrem Falle, dass da noch andere sind, die sich nicht satt sehen können an ihr, die sie Playboy-Kolumnen schreiben lassen, Bücher, sie in Talkshows einladen: als Deutschlands Glamourgirl No. 1 , als intellektuelle Partyqueen.

Für den Boulevard repräsentiert die virtuelle Clubdiva mit Kinderstube momentan nicht weniger als das junge, aufregende Berlin. Umgekehrt scheint sie für das real existierende Hipster-Dorf Mitte alles zu verkörpern, was man an Hamburg, München und Sankt Moritz schon immer verachtet hat. RTL und Bunte machen es möglich: Berlins Partyqueen muss dieser Tage nicht im WMF gewesen sein, darf bekennen, noch nie Kruder & Dorfmeister gehört zu haben.

Trotzdem bricht Ariane gerne eine Lanze für die Berliner Clubkultur, die doch ähnlich wichtig für die kulturelle Kommunikation einer Stadt sei wie weiland in Wien die Kaffeehauskultur. „Aber hey, weißt du“, sagt sie vor ihrem Stammitaliener Schell und hält mir die Tür auf, „ich bin immer um drei zu Hause, allerspätestens um vier. Ich gehe auch kaum aus, um zu feiern, ich networke. Das mit der Partyqueen ist nur ein Label aus der Zeit, in der ich in den Medien präsent wurde, ohne irgendetwas zu tun, über das die Leute hätten schreiben können.“

Nun, wo sie selbst schreibe und vor der Kamera stehe, beginne man sie als Moderatorin und Autorin zu respektieren, eine Tatsache, die ihr offensichtlich Genugtuung bereitet. Beides, erzählt sie bei grünem Tee und frisch gepresstem Orangensaft, biete ihr die Plattform, Menschen zu unterhalten, zum Lachen zu bringen, gleichzeitig sei es eine tolle Möglichkeit, etwas weiterzugeben und Leser wie Zuschauer zum Nachdenken zu animieren. Dass Ersteres unfreiwillig geschehen könnte, kommt ihr nicht in den Sinn. Züchtig zupft sie ihre Bluse zurecht, auf dass nichts von ihrer Message ablenken kann. „Wenn ich zu viel über mich und die Welt nachdenke“, sagt sie und lacht, „werde ich ganz traurig. Furchtbar ist das. Es ist ganz wichtig, dass man auch ernste Dinge mit Humor nimmt.“

Ihr Debüt „Die Benimm-Bibel: Ultimatives für moderne Menschen“ beantwortet auf die ihr eigene, latent anmaßende Art Fragen wie „Stil. Kann man den kaufen?“ und „Toller Sex. Was ist das?“ Es sei, so versichert sie mir, bei allem Spaß, auch und vor allem ein ernstes Buch. Alles Wichtige sei enthalten, alles, was man über guten Stil und anständiges, menschliches Benehmen wissen müsse. Wer, wenn nicht sie, könnte den Spagat zwischen alter Etikette und dem modern way of life vollbringen?, habe der Verleger um sie gebuhlt, und nun stehe das Buch im Laden.

Dass ich ihr nicht einen Punkt nennen kann, der für ihr Buch spricht, nimmt sie gelassen, und während ich noch an ihr kürzestes Kapitel denke – „Zu Drogen ist im Grunde nur eines anzumerken: Sie sind schlicht und ergreifend Big Shit. Ende der Durchsage.“ –, erzählt sie, das sowieso nur eines zähle: ganz man selbst zu sein.

„Es gibt nichts Schlimmeres, als angepasst durchs Leben zu gehen. Ich habe da auch neulich mit Moritz Bleibtreu bei ‚Drei nach Neun‘ drüber geredet. Du kennst seinen Film? Gut. Jedenfalls denke ich, dass Menschen die alles annehmen, was ihnen vorgegeben wird, in Extremsituationen wie Krieg oder wie in ‚Das Experiment‘ viel schneller unmenschliche Dinge tun. Denk ans Dritte Reich, an Südafrika. Wo weggeschaut wurde, nur weil der Großteil gesagt hat: ist schon in Ordnung so. Deswegen auch dieses Buch, das ist ein Thema, das mich immer beschäftigt hat“.

Sagt sie, die Benimmbuchautorin, die mir nur wenige Sekunden später erklären wird, sie mache sich keinerlei Sorgen um eine eventuell schwächelnde Auflage. „Nee, nee, ich habe das Gefühl, das es wieder ein allgemeines Bedürfnis nach Regeln und Normen gibt.“

Wir schweigen, und für einen kurzen Moment scheint die Sommer’sche Dialektik physisch greifbar zu sein. Später geht es noch zum KaDeWe. Ariane muss Shampoo kaufen, und ich fahre mit dem Bus nach Hause.

Ariane Sommer: „Die Benimm-Bibel“. Argon Verlag, Berlin 2001, 34 DM