bomben, kultur etc.
: Jerusalem, goldene, unverständliche Stadt

Normalisierung ist Verrat

Eine Kolumne aus Jerusalem schreiben heißt, eine Kolumne über die Unmöglichkeit einer Kolumne aus Jerusalem zu schreiben. Hübsche Nebensächlichkeiten sind schwer zu beobachten, wenn Bomben und Menschen explodieren.

Am Tag, an dem die Theater-Reisegruppe der Bundeszentrale für politische Bildung in der geteilten Stadt ankommt, ist das arabische Viertel fast so still wie das jüdische am Sabbat. Es ist Dienstag, der 27. März. Im jordanischen Amman trifft sich die Arabische Liga. „God damn the jews“, wird da später jemand sagen, und um ihre Unterstützung auszudrücken, bleiben die Läden vieler arabischer Israelis heute geschlossen. Die hebräischen Zeitungen sind voller Bilder des am Vortag von einem Palästinenser erschossenen jüdischen Babys. Die arabischen berichten ausführlich über die anschließend wild in die Menge feuernde israelische Polizei. Der Himmel ist blau, in der Luft liegt extreme Spannung.

Etwa zur selben Zeit, als sich unser Bus in Richtung Ölberg aufmacht, explodiert vor einem Einkaufszentrum im Stadtteil Talpiot eine Autobombe. Wir laufen zur Gethsemane-Kirche. Nicolas Stemann liest aus dem Markus-Evangelium. „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen“, steht da, und „der Geist zwar ist willig, doch das Fleisch ist schwach“. Eine Theater-Reisegruppe kann so etwas sehr beeindrucken: „Die Bibel ist wie der ‚Faust‘! Da ist alles drin! Nur besser.“ Unter uns liegt die goldene, unverständliche Stadt.

Jedes Flugzeug, das die Schallmauer durchbricht, lässt heute panisch zusammenzucken. Im Tal weit hinter der Stadt steigen schwarze Rauchwolken auf. Wird Bethlehem bombadiert? Liegt da eine Müllverbrennungsanlage? Als Fremder ist man der Situation genau wie der eigenen Paranoia ausgeliefert. Was wirklich vor sich geht, ist der Stadt nicht anzusehen. Alle Infrastruktur funktioniert reibungslos. Am Kiosk werden Schokoladenzigaretten namens „Kamikaze“ verkauft. „Down in flames ... up in smoke“ steht auf der Packung. In der Zeitung Ha’aretz wirbt eine Anzeige dafür, den Touristen nicht böse zu sein, dass sie nur noch spärlich nach Israel reisen. „Treat them right!“, fordert „helloisrael“, was vermutlich für „Hello Israel“ steht, aber unweigerlich als „Hell o’ Israel“ gelesen wird.

Von der Terrasse der Cinematheque beobachten wir das Farbenspiel des Sonnenuntergangs auf der Stadtmauer, bis uns besorgte CNN-Gucker über Handy mitteilen, dass sich wenige Meter nördlich von uns gerade ein Selbstmordattentäter samt Bus in die Luft gesprengt hat. Der Verkehr um die Stadtmauer fließt weiter. Wir bestellen Schnaps. Die Bedienung bringt Weißwein. Angst und Alltag scheinen parallele Wesen zu sein. Ein Gefühl nervöser Surrealität macht sich breit.

Am Abend zeigt die Bat Sheva Dance Company „Virus“ nach Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“. Eine komplexe, schöne Produktion. Der Text ist auf Hebräisch, aber wir haben das Ende auch so im Kopf: „Saujuden, Asoziale, Genickschussspezialisten, Schrumpfgermanen, rote Horden, Untermenschen“, brüllt ein Mann in den Zuschauerraum. Auf der Bühne dreht sich ein Dutzend Tänzer zu arabischer Musik endlos im Kreis. Großer Applaus.

Zwei Tage, ein Selbstmordattentat, ein Luftangriff und mehrere Tote später berichtet Mustafa Al-Kurd vom Theater al-Khayat von den Schwierigkeiten des Theatermachens in Ostjerusalem. Öffentliche Gelder gibt es nicht, private auch nicht. Unterstützung kommt allein von internationalen NGOs, die allerdings feste Vorstellungen davon haben, was auf den palästinensischen Bühnen gespielt werden soll: Auftragsarbeiten gibt es zum Thema „Demokratie“ oder „Halt bei Rot“, letzteres ein kleines Ampelstück, dass Al-Kurd neulich vertonte. „Wir dürfen nicht reden, worüber wir reden wollen. Palästinenser sollen neue Geschichte, neue Ideologien machen und das Theater dafür als Erziehungsinstrument nutzen.“ Ziel der NGOs, sagt er, sei nicht Frieden, sondern Ruhe.

Zusammenarbeit von israelischen und palästinensischen Künstlern wurde eine Zeit lang von ausländischen Künstlern gefördert, die mit Geld aus ihren Heimatländern integrative Workshops gaben. Momentan ist das nicht möglich, da durch die Abriegelungen der Territorien kein gemeinsamer Probenort besucht werden kann. Und es gibt mehr als praktische Gründe: Selbst liberale arabische Künstler, Akademiker und Friedensaktivisten weigern sich, mit Juden zusammenzutreffen. Der Dialog ist momentan politisch nicht konform, erklärt Suliman Abu Daye, Leiter des Jerusalemer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung. Seit Oktober gelingt es ihm nicht mehr, seit Jahren kooperierende Historiker an einen Tisch zu bringen. Auch die Frauenrechtlerin Sumaya Farhat-Naser kann keine binationalen Treffen mehr organisieren. „Normalisierung ist Verrat“ steht auf Drohbriefen, die bei ihr eingehen.

Der Filmemacher und Autor Etgar Keret hatte vergangene Woche in Tel Aviv ein einfaches Bild für die frustrierende Situation gefunden. Niemand spricht hier von Frieden, ärgerte sich der 33-Jährige: „Man spricht von ‚save peace‘ oder ‚right peace‘ oder ‚peace of the brave‘. Es ist wie im Supermarkt. Nur den Frieden, den ich will – the peace of the week –, den verkauft keiner.“ Und sonst steht momentan auch nichts im Angebot. CHRISTIANE KÜHL