Schlag gegen NTW

Gasprom übernimmt Kontrolle beim russischen TV-Sender. Damit verstummt der einzige kritische Sender

MOSKAU taz ■ Die Pressefreiheit hat in Russland einen schweren Schlag erlitten. Nach fast einem Jahr erbitterten Kampfes wurde gestern der Aufsichtsrat des privaten Fernsehsenders NTW von der Aktionärsversammlung neu gewählt. Damit hat der Kreml sein Ziel erreicht, den einzigen kritischen Fernsehsender Russlands in die Knie zu zwingen.

Der Sender NTW gehört zur Media-Most-Gruppe, deren Mehrheitseigner Wladimir Gussinsky ist. Der Medienmogul wurde im Mai 2000 erstmals inhaftiert. Er konnte bald das Gefängnis verlassen und befindet sich seitdem in Spanien. Vordergründig nutzte der Kreml die prekäre Finanzlage der Unternehmensgruppe als Hebel, um den Sender mundtot zu machen. Gussinsky wurde auch beschuldigt, Betrug großen Umfangs begangen zu haben.

Die letzten Tage des Flaggschiffs der Media-Most-Gruppe NTW verliefen dramatisch. Mit Hilfe des staatlichen Gasgiganten Gasprom grub der Kreml dem Sender das Wasser ab. Gläubiger Gasprom besaß 46 Prozent der Aktien des Medienimperiums. Im November hatten sich Gasprom und Media-Most auf einen friedlichen Weg geeinigt, den Konflikt beizulegen. Media-Most übereignete Gasprom vorübergehend ein Aktienpaket von 19 Prozent als Pfand. Mit Hilfe des Aktienpaketes stürzte der Gaskonzern im Auftrag des Kreml den Aufsichtsrat. Zuvor hatten Moskauer Gerichte den Gasproduzenten als rechtmäßigen Besitzer anerkannt.

Letzte Woche änderten die Mitarbeiter der Media-Most das Unternehmensstatut. Demnach haben die Aktionäre kein Recht, den Chefredakteur des Senders zu wählen; das bleibt den Mitarbeitern vorbehalten. Sie wählten den Journalisten und Generaldirektor Jewgeni Kiseljow zum Chefredakteur von NTW. Ein Moskauer Bezirksgericht hob die Entscheidung am Montag auf. Der Sender hatte sich zuvor an ein Gericht in Saratow gewandt. Das entschied, die von Gasprom für gestern anberaumte Aktionärsversammlung sei rechtswidrig. Die Mitarbeiter beschlossen, an der Versammlung nicht teilzunehmen. Als Chefredakteur Kiseljow gestern mit dem Urteil bei Gasprom erschien, präsentierte der Konzern einen gegenteiligen Beschluss, der die Unterschrift desselben Richters trug.

Neuer Generaldirektor wird der Vorsitzende der Gasprom Media, Alfred Koch. Im neuen Aufsichtsrat sitzt der wegen undurchsichtiger Geschäfte in Verruf geratene Geschäftsmann Boris Jordan. Im neunköpfigen Aufsichtsrat erhält Gasprom sechs Sitze, drei sind für NTW vorgesehen. KLAUS-HELGE DONATH