Östliche EU-Freizügigkeit in zwei Schritten

EU-Kommissar Verheugen stellt das Konzept für den Zugang der osteuropäischen Arbeitnehmer vor. Der Furcht der reicheren Mitgliedsländer wird mit neuer Fristenregelung Rechnung getragen. Kein Hilfsprogramm für Grenzregionen

BERLIN taz ■ Die EU-Kommission wird am 18. April eine zweistufige Übergangsfrist für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus Osteuropa vorschlagen. Dies kündigte Erweiterungskommissar Günter Verheugen gestern bei einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion an, die sich mit den Folgen der Osterweiterung für Deutschlands Grenzregionen beschäftigte. Nach Ablauf einer Frist, die für alle Mitglieder gelten werde, soll es demnach eine weitere, kürzere Zeitspanne für all die Länder geben, „die dann immer noch Risiken für ihren Arbeitsmarkt“ erkennen. Im Übrigen stehe es jedem Mitgliedsland frei, „so viel Zuwanderung zu erlauben, wie es will“. Auf die Länge der Übergangsfrist wollte sich Verheugen gestern in Berlin nicht festlegen. Er machte jedoch deutlich, dass er die von der Bundesregierung geforderten sieben Jahre für „realistisch“ und „sympathisch“ hält.

Ein voller Erfolg also für Kanzler Gerhard Schröder? Nicht ganz. Denn im Verlauf der weiteren Debatte wurde deutlich, dass es unterschiedliche Vorstellungen bei einer weiteren Übergangsfrist gibt: die der Dienstleistungen. Während Verheugen eine solche entschieden zurückwies, hält die Bundesregierung hier sektorale Einschränkungen wie etwa im Baugewerbe für unumgänglich. Sollte die EU sich darauf nicht einlassen, werde man um „nationale Regelungen“ nicht herumkommen.

Verheugen zeigte sich optimistisch, dass es gelingen wird, bis Ende des Jahres mit den Beitrittskandidaten bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu einer Einigung zu kommen. Allerdings lehnte er eine „Paketlösung“ ab, bei der etwa die von der Osteuropäern geforderten Übergangsfristen beim Bodenerwerb mit westlichen Fristforderungen „verrechnet“ werden. Auf entschiedenen Widerstand der Kommission stoßen hier auch Übergangsregelungen für den Grunderwerb durch westliche Investoren. Schließlich seien die Kandidaten gerade auf diese Investoren angewiesen.

Zu einem weiteren Streitpunkt zwischen Bundesregierung und EU-Kommission könnten sich die Übergangsfristen für Umweltstandards entwickeln. So betonte Schröder in seiner gestrigen Rede bei der SPD-Veranstaltung, dass es durch diese Fristen zu keinen Wettbewerbsverzerrungen kommen dürfe. Verheugen dagegen berichtete von „übereinstimmenden Studien“, die zeigten, dass die „Kostenvorteile durch zeitweise niedrige Umweltauflagen den Wettbewerb nicht beeinträchtigen“. Überhaupt sollte sich die Bundesregierung nicht allzu viel Hilfe aus Brüssel für die Unternehmen in den Grenzregionen erhoffen. Ein finanzielles EU-Hilfsprogramm, wie von Deutschland gefordert, wird es laut Verheugen nämlich nicht geben. Schließlich seien es gerade Bund und Länder gewesen, die bei den Verhandlungen über die Agenda 2000 vor zwei Jahren dies abgelehnt hätten. Jetzt stünden im EU-Haushalt dafür keine Mittel zur Verfügung. Möglich sei nur eine bessere Nutzung der bereits existierenden EU-Förderprogramme – so etwa beim Ausbau der Infrastruktur.

Für die Unternehmen Ostdeutschlands gilt so, was auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner gestern von ihnen forderte. Sie sollten nicht länger nur nach Westen, sondern auch wieder nach Osteuropa schauen. Hier liege ihre Zukunft. SABINE HERRE