Exitus in Moabit

Das Krankenhaus Moabit macht endgültig dicht. Gestern wurde am Runden Tisch die Abwicklung bis Ende März 2002 unterschrieben. Die Mitarbeiter sind entsetzt. Über ihre Zukunft wird jetzt in Arbeitsgruppen verhandelt

von JULIA HARBECK

Jetzt hat Helga Lachmund es schwarz auf weiß. Das Krankenhaus Moabit hat gerade seiner eigenen Schließung zugestimmt. Die Geschäftsführerin stützt den Kopf auf die Hände und starrt schweigend auf das Papier, das eben in ihr Büro gebracht wurde. Nach einem sehr langen Moment sagt sie leise: „Das heißt Abwicklung. Ich versteh es nicht.“

Diesmal ging alles ganz schnell. Beim ersten Runden Tisch vor wenigen Wochen hatten Kassenvertreter, Krankenhaus und Gesundheitsverwaltung noch sechs Stunden lang zäh verhandelt. Ein zweiter und dritter Versuch folgten – ohne Ergebnis. Gestern brauchte man nur anderthalb Stunden, um das Ende der Klinik zu beschließen – und damit das Ende einer langen Geschichte zu besiegeln.

Für Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) ist mit der Vereinbarung „ein Durchbruch erreicht“. Das heißt im Klartext: Der Senat und die Krankenkassen haben sich gegen die Interessen der Klinik durchgesetzt.

Am Anfang vom Ende der Klinik stand der Krankenhausplan von 1999. In dem taucht das Krankenhaus Moabit nicht mehr auf. Der Senat hatte beschlossen, das Haus dichtzumachen. Eigentümer sind zu 90 Prozent das Land Berlin und zu zehn Prozent eine Einrichtung der Diakonie. Das Land wird inzwischen vom Bezirksamt Mitte vertreten, bis zur Bezirksfusion war es Tiergarten. Grundlage für den Schließungsbeschluss war das so genannte Beske-Gutachten. Auftraggeber: Der Senat und die Krankenkassen. Darin hieß es über die Klinik Moabit, sie sei marode und unwirtschaftlich.

In Moabit sieht man das anders. „Wir sind vermutlich das einzige Landesunternehmen, das schuldenfrei ist. Wir arbeiten überaus wirtschaftlich – anders als beispielsweise die Bäderbetriebe“, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Lachmund. Siegessicher zog das Krankenhaus vors Verwaltungsgericht: Es legte Widerspruch gegen den Schließungsbescheid ein. Die Begründung dafür sei absolut wasserdicht, hieß es bisher bei der Klinikleitung. Nach dem gestrigen Beschluss macht der Widerspruch keinen Sinn mehr.

Den Krankenkassen muss die Klage wie eine Kriegserklärung vorgekommen sein. Denn der Kampf gegen Moabit war immer auch Teil des Kampfes ums Überleben der Versicherer. Es waren vor allem die hoch verschuldete AOK und die Betriebskrankenkassen, die zuletzt den Druck auf die Klinik erhöhten. Sie zahlten einfach nicht mehr. Im letzten Moment konnte der Runde Tisch die Gehälter der Klinikmitarbeiter für März retten. Die drohende Insolvenz der letzten Wochen und die Unsicherheit der Löhne brachte viele Mitarbeiter und Fürsprecher des Krankenhauses gegen die angeblich „erpresserischen Methoden“ der Kassen auf. Die Strategie der Kassen sei gewesen: Entweder ihr gebt auf, oder wir bezahlen eure Rechnungen nicht.

Rolf D. Müller, Vorstandsvorsitzender der Berliner AOK, weist die Vorwürfe entschieden zurück: „Wir haben alle Außenstände bezahlt. Nur strittige Rechnungen sind noch offen.“

Die Kassen lassen seit einiger Zeit die Rechnungen aus Moabit über stationäre Behandlungen sehr genau prüfen. In der Klinik spricht man von Schikane. „Früher gab es Einzelfallprüfungen einmal im Monat. Jetzt hab ich manchmal vierzig Fälle pro Woche“, sagt der Chirurg Alexander Maassen, der halbtags das medizinische „Controlling“ bearbeitet. Die Kassen erheben ihrerseits Vorwürfe: „Die Krankenhausleitung ist viel zu lange nicht bereit gewesen, mit uns zu sprechen.“

Die wirtschaftlichen Zahlen des Unternehmens scheinen tatsächlich positiv. „Wir haben eine Auslastung von 86 Prozent“, sagt Lachmund. „Wir sind rappelvoll, ich habe eher zu wenig Personal.“

Was mit den über 1.400 Mitarbeitern passiert, soll jetzt verhandelt werden. Die Gesundheitsverwaltung ist optimistisch: „Gewonnen haben heute die Beschäftigten“, sagt Schöttlers Sprecher Klaus-Peter Florian. Zusammen mit dem Landesarbeitsamt, der Gewerkschaft und einem professionellen Dienstleister werden nun mit allen Beteiligten Arbeitsgruppen gebildet. Doch das Personal ist skeptisch. „Für mich ist ein Traum zerplatzt“, sagt die Physiotherapeutin in der Ausbildung, Sabrina Föllmer. Gerne hätte sie später hier in Moabit gearbeitet, denn „hier ist die Arbeit viel ganzheitlicher als in einer Praxis“. Auch Erik Weise ist wütend – wie viele junge Mediziner. Er steckt im letzten Jahr der Facharztausbildung zum Chirurgen. „Das Land hat 500.000 Mark in meine Ausbildung gesteckt. Ich hab ein Einserexamen. Und jetzt soll ich zum Arbeitsamt?“

Im Krankenhaus Moabit ist man sich sicher, dass es eine Rettung für das Haus gegeben hätte. Beim letzten Runden Tisch sollten beide Seiten ein Konzept vorlegen. „Wir waren bereit, die Hälfte der Betten abzubauen“, sagt Helga Lachmund. Auch eine engere Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten sei vorgesehen gewesen. Dazu wurde ein Betreibermodell entwickelt. Das Konzept von Schöttler sei hingegen „ein Unsinns-Pamphlet“. In dem Papier ist von einem Wellness-Center die Rede, die Mitarbeiter sollen umgeschult werden. „Zu Bademeistern?“, fragt Lachmund.

Auch der Ärztliche Leiter des Krankenhauses, Paul Gerhard Fabricius, ist enttäuscht von der wohl endgültigen Entscheidung. „Wir haben gekämpft und wir haben verloren.“ Für Berlin sei das kein guter Tag gewesen, sagt Fabricius. „Irgendwann wird man erkennen, dass man einen großen Fehler gemacht hat.“ Vor allem für die „Mannschaft“ tue ihm die Schließung sehr leid. „Wir müssen alles tun, dass die Mitarbeiter nicht in ein soziales Loch fallen. Wir hoffen, dass die Zusagen eingehalten werden.“