Geschichte bleibt einmalig

Der FC Bayern München gewinnt das Viertelfinal-Hinspiel der Champions League bei Manchester United mit 1:0. Manager Uli Hoeneß spürt dennoch, dass die Mannschaft über ihren Zenit hinaus ist

aus Manchester RONALD RENG

Auch diese Begegnung zwischen Manchester United und Bayern München hatte ihre letzte Spielminute. Bloß dass etliche hundert der 66.500 Zuschauer im Old Trafford Stadion sie noch nicht einmal mehr sehen wollten. Im South Stand, direkt hinter dem Platz von Uniteds Trainer Sir Alex Ferguson, stauten sich die Fans, die vorzeitig gingen. Die Geschichte wiederholt sich nicht, ahnten sie, Barcelona, der 26. Mai 1999, der Abend, an dem United im Champions-League-Finale gegen Bayern in der letzten Minute aus einem 0:1 ein 2:1 machte, würde bleiben, was es ist: einmalig.

Es gab noch einen Eckball für den englischen Meister, so wie es damals zwei Eckbälle gegeben hatte, die zu Uniteds Toren führten, aber „daran habe ich nicht gedacht“, sagte Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld hernach. Barcelona war in diesem Moment 23 Monate weg und würde auch nicht mehr näher kommen. Der FC Bayern brachte seinen 1:0-Sieg durch das Tor von Paulo Sergio in der 86. Minute im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals gefahrenlos über die Zeit. Von Revanche, diesem in den Tagen zuvor auch von Bayern-Profis so viel benutzten Wort, war nichts mehr zu hören, klugerweise, denn es steht noch ein Rückspiel an.

Kaum später, im fünfsternigen Mannschaftsquartier, wandten sich die Führungskräfte des Vereins nach der vermeintlich emotionalen Vergangenheitsbewältigung übergangs- und schonungslos rational der Zukunft zu: Diese Mannschaft des FC Bayern ist über ihren Zenit hinaus, und selbst der Gewinn der Champions League würde nichts an der Einschätzung von Manager Uli Hoeneß ändern. „Die sieben Wochen bis Saisonende kann sich die Mannschaft noch am Riemen reißen, dann aber braucht es drei, vier neue Hungrige“, sagte er.

Für die Champions League können sie für ein paar Abende noch einmal das Beste aus sich herausholen; weil es für Spieler wie Stefan Effenberg, 32, oder Lizarazu, 31, das letzte große Ziel im Klubfußball ist. Eine konstant gute Saison kann diese Elf offenbar aber nicht mehr leisten, acht Niederlagen in der Bundesliga legen das nahe. „Wir sind nicht nur in einer entscheidenden, sondern in einer kritischen Phase“, sagte Hitzfeld. Denn zu leicht kann es bei weiterer Missachtung der Bundesliga passieren, „dass wir am Ende nur Fünfter sind“, sagt Hitzfeld, nicht qualifiziert für die nächstjährige Champions League.

Am Dienstag aber verstellte eine Abwehrreihe, die vier Tage zuvor beim 2:3 in der Bundesliga gegen Werder Bremen noch „spielte, dass wir beim Hinschauen eingeschlafen sind“ (Präsident Franz Beckenbauer), auf einmal einer der weltbesten Angriffsformationen mit Kraft und Strategie den Weg. Innenverteidiger Thomas Linke beeindruckte gegen Ole Gunnar Solksjaer besonders, aber auch wie Patrick Andersson die Kollegen dirigierte, während Uniteds Flügelläufer Ryan Giggs und David Beckham mit den Stürmern Andy Cole und Solksjaer ständig die Positionen tauschten, verdiente Respekt.

Was ist da bloß in vier Tagen etwa mit Linke geschehen? „Ich glaube eine Frischzellenkur“, meldete Hoeneß. Hitzfeld nahm die Frage etwas ernster auf. Es sei nicht nur der Konzentrationsschub durch die Attraktion Champions League. In Spielen wie in Manchester sei das Verteidigen leichter; das Mittelfeld mit dem emsigen Jens Jeremies war angehalten, eine erste Verteidigungsreihe zu bilden. Gegen Bremen „machen wir das Spiel, da sind wir in der Abwehr offen“, sagte Hitzfeld. Dass ein Team wie Bayern Verteidiger haben sollte, die trotz offensiver Ausrichtung sicher stehen, ließ er offen.

Letztlich hatten sie im Old Trafford trotz ihrer Vorsicht die besseren Torchancen, und zwar im halben Dutzend. „Heute ärgere ich mich nicht, dass wir sie vergeben haben“, sagte Hitzfeld, „aber vielleicht beim Rückspiel.“ United ist immer zuzutrauen, dass sie auf einmal ihre Form finden, auch wenn das in der Champions League schon lange nicht mehr geschah. Beckham, der im Spiel anonym blieb, ist wegen der dritten Gelben Karte in München gesperrt; ebenso Lizarazu und Hasan Salihamidzic seitens Bayern. Als die letzte Minute vorbei war, lag auch nach diesem Spiel United gegen Bayern Kapitän Effenberg am Boden, wie in Barcelona damals. Diesmal allerdings nur, weil er auf den Ball getreten und gestolpert war.